MoralstückDie Rollen scheinen klar verteilt für die junge Schwester James (Amy Adams), die Anfang der 1960er Jahre an die Klosterschule St. Nicholas kommt. Die konservative Nonne Aloysius Beauvier (Meryl Streep) sorgt mit schonungsloser Härte für Ordnung, während es der Lebemann Pater Flynn (Philip Seymour Hoffman) nicht so genau mit der Einhaltung des asketischen Lebensstils nimmt. Wenn die Frauen gebeugt über ihrem Abendmahl sitzen, wird am Tisch der Männer gescherzt und fürstlich gespeist. Schwester James kümmert sich aufopferungsvoll um ihre Schüler und kommt wie alle zunächst nicht mit der Oberin klar, die ein strenges Auge auf ihre Novizin wirft. Doch als sie etwas Ungewöhnliches in Pater Flynns Verhalten bemerkt, wendet sie sich an ihre Vorgesetzte. Es scheint, als hege der Pater eine spezielle Zuneigung zum einzigen schwarzen Schüler in ihrer Klasse. Die Indizien weisen darauf hin, dass sich Flynn an dem Jungen sexuell vergangen hat. Fortan benutzt Beauvier die junge Frau dazu, den Pater zu einem Geständnis zu zwingen. Doch es bleiben Zweifel an der Schuld des Angeklagten.
Sexueller Missbrauch in Kirchenkreisen ist stets ein heikles Thema. Welche Schwierigkeiten sich hinter der Entlarvung eines Triebtäters in einer Institution stellen, die sich der weltlichen Gerechtigkeit mit allen Mitteln entzieht, zeigt John Patrick Shanley in seiner Filmadaption seines preisgekrönten Theaterstücks auf. Der Zweifel (so die Übersetzung des Originaltitels „Doubt“) sitzt tief und auf vielerlei Ebenen. Zweifel an Gott, das Hadern mit dem eigenen Selbst und die Suche nach Beweisen für die Schuld treiben Schwester James in die Hoffnungslosigkeit. Ihr naives Weltbild vom Guten im Menschen wird in Trümmer gelegt, während sie zum Spielball der Machtkämpfe zwischen den Rivalen wird. Als solche liefern sich Meryl Streep und Philip Seymour Hoffman ein glänzendes Psychoduell und die ausgefeilten Dialoge sorgen für unerträgliche Spannung. Im Hirn des Zuschauers spielen die Sympathien dabei Ping Pong. Mit reduzierten filmischen Mitteln fokussiert „Glaubensfrage“ die Aufmerksamkeit voll und ganz auf seine Figuren, deren Besetzung nicht treffender hätte ausfallen können. Ein forderndes Spiel mit der Moral.
Lars Tunçay
Bewertung der redaktion
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