Ein Western als Kammerspiel? Ein Dialog-Tsunami, nahezu drei Stunden lang? Der größte Teil spielt in einer Hütte? Und das Ganze im raren Ultra-Panavision-70mm-Breitwandformat 2:76:1 inszeniert? So wahnsinnig kann nur Quentin Tarantino sein!
Gut ein Vierteljahrhundert nach „Reservoir Dogs“ mischt der Cineasten-Kaiser abermals die Genre-Karten neu.
Zu den pompösen Klängen von Soundtrack-Ikone Ennio Morricone donnert zu Beginn eine sechsspännige Kutsche durch die endlosen, verschneiten Weiten des wilden Westens. Als moralischer Zeigefinger ragt im Vordergrund ein geschnitzter Jesus am Kreuz ins Bild.
Kleinere Provokationen
Zu den illustren Passagieren gehören der Kopfgeldjäger John Ruth (Kurt Russell), seine Gefangene Daisy Domergue (oscarnominiert: Jennifer Jason Leigh), der Sheriff Chris Mannix (Walton Goggins) sowie Ex-Soldat Marquis Warren (Samuel L. Jackson). Wegen eines starken Schneesturms sucht die Reisegruppe Zuflucht in einer Hütte. Dort wärmen sich bereits andere Gäste auf, darunter der alternde General Sandy Smithers (Bruce Dern), der Cowboy Joe Gage (Michael Madsen), der Mexikaner Bob (Demian Bichir) sowie der Henker Oswaldo Mobray (Tim Roth).
Den anfänglichen Nettigkeiten folgen kleinere Provokationen, die sich zu fatalen Scharmützeln steigern. Ein Kännchen Kaffee kann nur kurzzeitig für Gemütlichkeit sorgen, bevor eine garstige Hüttengaudi immer mehr Opfer unter diesen nicht ganz so glorreichen Acht fordert.
Traditionell deftig
Visuell erweist sich Tarantino einmal mehr mit virtuoser Verspieltheit: Raum ist in der kleinsten Hütte, selbst für eine 70mm-Kamera. Bei der Darstellung von Gewalt geht es traditionell deftig zu, von einer sadistisch-voyeuristischen Schlachtplatte ist sein achter Film dennoch weit entfernt.
Dem hochkarätigen Ensemble macht das Cowboy-Spiel sichtlich Vergnügen, für quentin-eske Komik ist gleichfalls gesorgt und wer glaubt, er wisse wie der Western-Hase laufe, dürfte sein blaues Überraschungswunder erleben. Denn wie vergnüglich Suspense bis zur letzten Minute dramaturgisch ausgereizt werden kann, ist hier in Perfektion zu erleben.
Und im schier endlosen Geplapper, bei dem sich immer wieder rabiate Rassismus-Debatten entzünden, finden sich allerlei Dialog-Perlen, die potenzielle Klassiker-Qualitäten besitzen. Wenn man sich an das überschäumende Palaver erst einmal gewöhnt hat, erwartet einen mit „The Hateful 8“ ein hochkarätiger Premium-Western mit Wow-Effekten. \
Dieter Oßwald
USA 2015 // R: Quentin Tarantino
Start: 28.1.
Bewertung der redaktion
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