„Über uns das All“ ist keiner der Filme, die man sich für einen unbeschwerten Kinoabend aussuchen sollte. Wer eher leichte Hollywoodkost gewohnt ist, ist beim Debütfilm des Aacheners Jan Schomburg fehl am Platze. Dieser Tatsache sollte man sich unbedingt bewusst sein, bevor man sich für diesen niederschmetternden Film entscheidet. Schon in der ersten Szene hängt ein unausgesprochenes Missverständnis zwischen dem jungen Ehepaar Martha und Paul Sabel (Sandra Hüller und Felix Knopp) in der Luft. Die Regie lässt den Zuschauer zumindest mit einem unangenehmen Gefühl zurück, auch wenn in der Beziehung der beiden alles bestens zu laufen scheint. Gemeinsam hat man sich für den Beginn eines neuen Lebensabschnitts in Marseille entschieden, die Koffer sind schon gepackt. Paul reist vor, aber sein Abschied hat etwas sonderbar Endgültiges, obwohl man sich doch schon eine Woche später in Frankreich wiedersehen will. Als Martha dann am nächsten Tag von der Polizei über Pauls Selbstmord aufgeklärt wird, ist nichts mehr wie vorher. Bei der Vorbereitung der Beerdigung kommt sie dahinter, dass sie Paul gar nicht richtig kannte und dass er ihr eine Lebenslüge vorgespielt hat. Als Martha Alexander (Georg Friedrich) kennen lernt, projiziert sie in ihn den Paul hinein, den sie bislang als Ehemann gehabt zu haben glaubte.
Die Figuren in Jan Schomburgs erstem Langfilm verhalten sich nicht immer sonderlich rational. Die ungläubige Reaktion Marthas auf dem Polizeirevier, als man ihr vom Suizid ihres Mannes erzählt, markiert dabei den Beginn. Die junge Frau ist ab diesem Zeitpunkt völlig aus der Bahn geworfen und handelt in der Folge nicht immer logisch. Angesichts dieser Tatsache fällt es zunächst etwas schwer, Sandra Hüllers Darstellung uneingeschränkt zu goutieren. Doch je weiter sich die Situation zuspitzt, je brüchiger ihr bisheriges Leben auf Martha erscheint, desto besser kann man sich auch als Zuschauer auf ihre ungewöhnliche Situation und ihre daraus resultierende, gar nicht mehr so abwegige Verhaltensweise einlassen. Regisseur Jan Schomburg, der auch das Drehbuch schrieb, scheint sich in der Psyche der Menschen gut auszukennen und hat hier einen diskussionswerten und für ein aufgeschlossenes Publikum auch sehenswerten Film gedreht, bei dem es um Verdrängungsmechanismen, Projektionen und den verzweifelten Versuch, in die Realität zurückzufinden, geht. /// Frank Brenner
„Über uns das All“
D 2011 // R: Jan Schomburg
Start: 15.9.
12.9.
„Kino im Dialog“ mit Regisseur Jan Schomburg
20.15 Uhr, Apollo
Regiesseur Jan Schomberg
… wurde 1976 in Aachen geboren, wo er auch seine ersten Lebensjahre verbrachte. Nach einem Studium der Visuellen Kommunikation an der Kunsthochschule Kassel absolvierte er den Studiengang Filmregie an der Kunsthochschule für Medien Köln. 2008 erhielt er zudem ein Stipendium an der Andrzej Waida Master School of Film Directing in Warschau. Jan Schomburg realisierte mehrere preisgekrönte Kurzfilme. 2007 inszenierte er für das „Kleine Fernsehspiel“ im ZDF nach eigenem Drehbuch die Science-Fiction-Groteske „Innere Werte“ um den Schönheits-OP-Wahn. „Über uns das All“ ist sein erster Kinolangspielfilm, mit dem er dieses Jahr in der Berlinale-Sektion Panorama Special den „Prix Europa Cinemas“ gewann. Zurzeit lebt und arbeitet er in Köln. ///
Bewertung der redaktion
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