Deutschlands Märchenkultur ist geprägt durch die Gebrüder Grimm und ihre Sammlung und Verschriftlichung von „Hänsel und Gretel“, „Rotkäppchen“ und vieler anderer Volksmärchen. In Italien hat Giambattista Basile aus Neapel eine ähnlich populäre und bedeutende Position inne.
Seine im „Pentameron“ zusammengefassten Werke sind sogar noch zwei Jahrhunderte älter, als die von den Grimms zu Papier gebrachten Erzählungen, mitunter noch düsterer und brutaler und in ihrem Aufbau nicht unbedingt mit den hiesigen Märchen vergleichbar.
Matteo Garrone („Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra“) hat sich in seinem ersten englischsprachigen Film der italienischen Märchenwelt Basiles angenommen, und man sollte sich darauf gefasst machen, dass die Handlungen, ungleich den Grimm-Märchen, nicht unbedingt mit einem eindeutigen Ende, womöglich noch nicht einmal mit einer moralischen Botschaft, erzählt werden.
Drei Märchen spielen parallel
Parallel laufen hier drei Geschichten ab, die sich mit den Problemen unterschiedlicher Regenten in drei Königreichen beschäftigen: Eine Königin (Salma Hayek) will unbedingt ein Kind bekommen, was ihr nach einem Verlust auch gewährt wird. Eine Prinzessin wird zum Spielball ihres Vaters (Toby Jones), der ihre Hand schließlich einem Oger zugestehen muss, weil dieser ein scheinbar unlösbares Rätsel knackt.
Ein weiterer König (Vincent Cassel) ist hinter jedem Rockzipfel her und erliegt letztlich der bezaubernden Stimme einer Frau, hinter der sich in Wahrheit jedoch eine hässliche Alte verbirgt.
Matteo Garrone springt in seinem Film immer wieder zwischen diesen Märchen hin und her und baut auf diese Weise in allen dreien parallel die Spannung auf. Er entfaltet dabei eine opulente Szenerie, wie man sie seit den berauschenden Bilderwelten von Tarsem Singh in „The Fall“ nicht mehr auf der großen Leinwand gesehen hat.
Wundervolle alte Schlösser, edel angelegte Gärten, fantastische Berglandschaften und überaus hübsche Kostüme nehmen den Zuschauer schnell auf visuell beeindruckende Weise gefangen.
Hinzu kommt, dass viele der Spezialeffekte noch handgemacht sind und dadurch ungleich mehr überzeugen können, als die immer noch seelenlos wirkenden Schöpfungen aus dem Computer. Was kürzlich „Into the Woods“ im Bereich des Musicalfilms für die Märchenwelt getan hat, gelingt Garrone nun mit „Das Märchen der Märchen“ auf gleichermaßen berauschende Weise. \ Frank Brenner
Am Rande
Regisseur Matteo Garrone ließ sich auf visueller Ebene insbesondere von „Die Launen“, einer Serie von Gravuren von Francisco Goya inspirieren: „Goyas wunderbare Illustrationen fangen die Seele ein, die auch den Vorlagen entströmt – und die auch die Atmosphäre meines Films bestimmen sollte. Sie zeigen eine groteske Menschheit, sind zugleich realistisch und fantastisch und durch zusätzliche komische und makabre Momente auf die Spitze getrieben.“
„Das Märchen der Märchen“
I/F/GB 2015 // R: Matteo Garrone
Start: 27.8.
Bewertung der redaktion
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