New York in den späten 40er Jahren. Handlungsvertreter Willy Loman ist nach über 30 Jahren im Berufsleben ausgezehrt. Unfähig seine finanziellen und gesellschaftlichen Verpflichtungen zu erfüllen, versucht er krampfhaft, den Anschein des erfolgreichen jovialen Kaufmanns zu erhalten, und driftet dabei zunehmend in eine Welt der Phantasie und Erinnerungsfetzen ab. Prestige und himmelhohes Pläneschmieden lehrte er auch seinen Söhne Biff und Happy, authentisch gespielt von Julian Francis Bisesi und Matthias Wackrow, die nun ziel- und zukunftslos durchs Leben irren. Selbstbetrug, Realitätsverlust und Wahnwitz zehren an Willy und ziehen ihn, Ehefrau Linda (geht unter die Haut: Petra Kalkutschke) und seine Söhne in einen Sog aus Sprachlosigkeit, bis Willy der Freitod sogar plausibler erscheint als das Leben.
Bis heute unzählige Male für Bühne und Bildschirm inszeniert und nicht nur in amerikanischen Schulräumen ein Standardwerk, wurde Arthur Millers berühmtestes Drama kurz nach seiner Uraufführung am Broadway 1949 bereits mit dem Pulitzer-Preis für Theater und dem Tony Award ausgezeichnet. Der Meilenstein der Theatergeschichte fungierte oft als Prototyp von Millers Kritik an dem ‚American Way of Life‘ und als Denkmal seiner ‚social domestic dramas‘, bei dem die Wechselbeziehung zwischen häuslich-familiärer und gesellschaftlicher Ebene regiert. Denn nach Miller sind die Gesellschaftsstrukturen längst gescheitert und die sozialen Anpassungsmechanismen haben die Psyche des Einzelnen verdreht, sodass, wie bei Willy Loman, das Ideal vom wirtschaftlichen Erfolg nur noch als süchtig machender Traum existiert.
Die ethische Abhängigkeit des Einzelnen vom gesellschaftlichen System bei Miller; sie ist eine zeitlose Kritik, deren Aktualität Regisseur Ulrich Wiggers subtil herauskitzelt. Das Stück ist emotional-wuchtig, dringt mit seinen unvermeidlichen Konfliktsituationen und der drückenden Realität, dem Scheitern und dem Festgefahrenen in den Zuschauer ein und bewegt sich mithilfe Matthias Winklers Kulisse, in der Form- und Farbsymbolik verschmelzen, auf dem schmalen Grad zwischen Surrealismus und Tatsächlichem. Das Bühnenbild mit großer grauer Steinwand und rotem Blickfänger-Sofa ist ein Abbild vom Nichtgesagten, das so spürbar zwischen den einzelnen Charakteren steht wie ihre Unzugänglichkeit. Allen voran Thomas Kemper, der dem Publikum einen robusten, rastlosen Willy Loman zeigt, den einfachen Jedermann, der sich in den Veränderungsprozessen der Arbeitswelt verliert und der im Wahn von einer Traumsequenz in die nächste stolpert. Auf der Suche nach dem „Geheimnis“, das den ersehnten Mythos Erfolg bringt, richtet er sich sogar an seinen verstorbenen Abenteurer-Bruder Ben alias Ludwig Hollburg, der mit ungemeiner Präsenz durch das Stück geistert und auf die Frage nach der einen „Lösung“ doch nie ein direkte Antwort weiß.
Im Mittelpunkt steht jedoch, wie oft in Millers Stücken, der Vater-Sohn-Konflikt, bei dem sich Kemper und Biff-Mime Bisesi ein wahrhaft heftig-packendes Kampfspiel liefern. Mit seinem Versuch, den Zwangsstrukturen zu entkommen, legt Biff Loman noch einmal den Verlust seines Ichs dar. Er verliert sich in einer Gesellschaft, die keine Werte, aber falsche Ideale kennt. Und Willy Loman ist der sprichwörtliche ‚low man‘, der seinen Lebtag „nie wirklich wusste, wer er war.“ /// Sabine Hausmann
1.10.- 8.11.
„Tod eines Handlungsreisenden“
20 Uhr, Grenzlandtheater
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