Von Sibylle Offergeld
Mit großen Gefühlen und großen Gesten gräbt sich Verdis magische Klangkraft ein. Es ist wie ein rauschhafter Überschwang, in dem sich Vokalkunst und darstellerische Intensität von Szene zu Szene steigern.
Pathos im besten Sinn setzt wuchtige Akzente. Das Melodram, frei nach Schillers Drama „Kabale und Liebe“ wird vom Meister der musikalischen Verve mit tonaler Inbrunst bestückt.
Rassig, aufstrebend, monumental
Im Umfeld einer klaren Säulenkonstruktion entfaltet sich die Musik auf der Bühne im Theater Aachen wie eine kühne Architektur: Rassig, aufstrebend, monumental.
Die in starken Klangfarben schillernde Tonschöpfung Verdis inspirierte die Italiener Mario Corradi (Regie) und Italo Grassi (Ausstattung) zur mutigen Zeitreise und den Dirigenten Kazem Abdullah zu mitreißender Dynamik. Lichtgestalter Dirk Sarach-Craig legte atmosphärische Tönungen über die Szenerie. So entstand ein Breitwand-Gemälde, in dem sich Videotechnik und Utensilien der Moderne nahezu nahtlos verbündeten.
Pläne durchkreuzende Liebe
Schillers tragische Geschichte von Liebe und Intrigen im Machtbereich absolutistischer Willkür wird hier zur Tragödie in mafiösen Kreisen, in denen ein Nutznießer im Zocker-Milieu mit Adelstitel und dunkler Vergangenheit durch die arrangierte Hochzeit seines Sohnes die gesellschaftliche Stellung festigen will.
Aber die Liebe durchkreuzt die Pläne des Grafen von Walter. Sein Sohn Rodolfo schlägt aus der Art, entwickelt echte Gefühle für die Unschuld Luisa, führt sich unter falschem Namen bei ihr und ihrem aufrechten Vater Miller ein.
Unheil vorprogrammiert
Da ist das Unheil vorprogrammiert. Im Hintergrund lauert bereits Fiesling Wurm, Verwalter des Grafen. Der will Luisa besitzen und plant Ruchloses.
Mord, Erpressung und Nötigung sind dem Mitglied einer finsteren Bruderschaft des Verbrechens nicht fremd. Hier zeichnet Verdis Tonkunst charakterisierende Konturen. Sänger und Orchester loten die Variationsbreite ihrer Möglichkeiten aus, schwelgen in vokaler Fülle und Ausdrucksstärke.
Von der Musik beseelte Kargheit
Am Rande der Szenerie stehen Dunkelmänner mit Pokerface, getönter Brille und einsatzbereiter Schusswaffe. Wurm gönnt sich zwischen seinen Untaten ein paar Prisen Koks. Der Graf residiert am Schaltpult der Macht vor einer Reihe von Monitoren mit Bildern von Glücksspiel-Variationen im Casino.
Am Ende hat Luisa kapituliert. Vor ihrem nahenden Tod hockt die Getäuschte auf einem kargen Krankenhausbett. Aber auch dieses wenig anheimelnde Ambiente wird von der Musik beseelt. Die Schlichtheit des Ortes gibt dem Emotionalen einer großen Tragödie Raum.
Sehr italienische Inszenierung
In dieser zentrierten, sehr italienischen Inszenierung steigert sich das Ensemble von Akt zu Akt. Das helltönende Belcanto des Rodolfo (Felipe Rojas Veloza), die getragene Klangfülle des alten Miller (Hrólfur Saemundsson), die dramatische Vokalkraft der Luisa (Camille Schnoor), sonores Volumen bei Woong-jo Choi in der Rolle des Grafen und bei Jacek Janiszewski als Wurm schaffen eine illustrierende Gefühls-Epik der Oper.
In weiteren Parts überzeugen Yaroslava Kozina als Herzogin Federica, Jelena Rakic (Laura) und Hans Schaapkens (Bauer). Verdiente Bravorufe und tosender Applaus.\
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