Man kennt ihn aus der Schule: Georg Büchners „Lenz“ – im Ganzen Jakob Michael Reinhold Lenz – und seinen Kampf gegen die inneren Dämonen. Doch die dramatische Erzählung ist viel zu packend, um nur als schnödes Lehrplan-Thema im Kopf zu bleiben! Die vielschichtige Story wurde schon mehrfach verfilmt und auf die Bühne gebracht, wie jetzt auch im Mörgens.
Dabei ist die Location perfekt gewählt. Das Mörgens (durch neue „Bebankung“ jetzt auch sehr gemütlich) erzeugt durch den beschränkten Raum und die zentrale Lage der Bühne und damit Handlungsfläche der Darsteller eine bedrückende Enge. Es ist dunkel, schummrig und schon bei der Platzsuche kommt ein beklemmendes Gefühl auf – hier wird noch einiges passieren, da kann man sich sicher sein. Das Publikum sitzt, alles wird still, die beiden Darsteller, die schon von Beginn an in zwei oldschool-Blumensesseln auf der Bühne sitzen, bleiben reglos – nur die Uhr, eine der wenigen Requisiten im Raum, tickt gleichmäßig vor sich hin. Im Gegensatz zu Lenz! Er ist aus dem Takt gekommen, hat Angstzustände, hört Stimmen und verliert den Bezug zum Wirklichen. Hilfe findet er zunächst in der Ruhe der Natur. Während seiner Reise in das idyllische Dorf Waldbach, in welchem er bei Pfarrer Oberlin auf Rat und Genesung hofft, beschreibt er Pflanzen, Berge und Geräusche lebhaft, ohne Einschränkung durch seine Sinnestäuschungen. Das Entdecken der Landschaft, wie auch das ganze Stück, wird von Julian Koechlin, der hier einen überzeugenden Start ins Ensemble-Dasein des Stadttheaters hinlegt und Simon Rußig, im Wechselspiel dargestellt. Dialogartig übernehmen sie – beide in brauner Cordhose, Hemd und rotem Pullover – die Textabschnitte, schlüpfen auch in die Rolle von Oberlin und bleiben dabei dem Originaltext treu. Dies macht es zum einen spannend zum anderen auch anspruchsvoll. Wer nicht ganz genau aufpasst, droht den Faden zu verlieren und einen Teil der Handlung zu verpassen. Doch das ausdrucksstarke Spiel der beiden Charaktere macht es leicht, dranzubleiben. Denn so leise und eintönig tickend das Stück beginnt, so rasant nimmt es an Fahrt auf: Der durch den gesamten Weltschmerz, den Lenz fühlt, ausbrechende Wahnsinn zeigt sich explosiv: Kleidung wird zerrissen, die Stimmen überschlagen sich und die durch die Psychose ausgelöste Anstrengung ist beiden Lenz-Figuren deutlich anzumerken. „Es war als sei er doppelt“ lautet eine Zeile – passend, Lenz auch durch zwei Personen zu verkörpern. Außerdem eine intelligente Art, die Schizophrenie und das Manisch-Depressive des Charakters darzustellen, der in einem schweren Kampf mit sich selbst steckt – und die Zuschauer mitreißt.
Nur eine gute Stunde dauert der Theaterabend, der einen dennoch nicht so schnell loslässt. Als auch der zunächst gefundene Halt im Glauben Lenz wieder verlässt, er einige „halbe Suizidversuche“ startet und nicht gegen die Stimmen in seinem Inneren ankommt, kann er das Leben nur noch als eine „notwendige Last“ sehen und fristet sein Dasein perspektivlos. Ein Glück, dass heutzutage mit psychischen Krankheiten anders umgegangen wird! \ sim
3., 11.+24.11.
„Lenz“
20 Uhr, Mörgens
Klenkes Tickets im Kapuziner Karree
WEITEREMPFEHLEN