Die Gelegenheit, gleich zwei Opernpremieren an einem Abend zu besuchen, hat man nicht allzu oft. Dass man dies aktuell am Theater Aachen erleben kann, ist auf den Komponisten selbst zurückzuführen. Leonard Bernstein komponierte 1952 seinen Einakter „Trouble in Tahiti“, ein kammerspielartiges Œuvre mit einer überschaubaren Besetzungsliste, an das er eine ganze Generation später mit seinem Werk „A Quiet Place“ anknüpfte. Damit floppte er jedoch bei der Uraufführung im Jahr 1983. Erst eine Überarbeitung, bei der Bernstein beide Werke zusammenführte und „Trouble in Tahiti“ gleichsam als Rückblende zwischen dem ersten und dem zweiten Akt einbaute, brachte ein Jahr später an der Mailänder Scala den Durchbruch.
Im Mittelpunkt der Werke steht eine klischeebesetzte amerikanische Familie, Vater Sam, Mutter Dinah und Sohn Junior. Schon nach wenigen Ehejahren hat sich das Paar emotional auseinander gelebt. Die Beziehung ist nur noch eine fragile Fassade. Sam hat nur seinen Job und das Geldverdienen im Kopf, während Dinah mit ihrem Schicksal als „Nur-Hausfrau“ hadert und Zerstreuung bei seichten Filmchen und mutmaßlich auch bei hochprozentigen Seelentröstern sucht.
Wie es bei dieser Tristesse noch gelungen ist, dass noch eine Tochter, Dede, in die Familie hineingeboren werden konnte, erfährt der Zuschauer nicht. Jedenfalls findet sich nach 30 Jahren die Familie zur Trauerfeier für Dinah ein, die, wohl unter Alkoholeinfluss, einem Verkehrsunfall erlegen ist. Die Konflikte brechen wieder auf. Erneut werden die Hintergründe nur angedeutet. Ist es vielleicht die Homosexualität Juniors, eine Ménage à Trois mit seiner Schwester Dede und ihrem Ehemann François oder überhaupt sein beknacktes Auftreten?
In der dicht erzählten, jeweils nur auf einen Tag beschränkten, Handlung der beiden Opern bleibt Vieles nur angedeutet und der Fantasie des Betrachters überlassen. Dennoch treten die atmosphärischen Stimmungen in den beiden Opern, die zudem auch enge Bezüge zu den Lebensumständen des Komponisten aufweisen, deutlich zutage.
Obwohl die beiden Werke aus der Feder ein und desselben Komponisten stammen, ist ihre musikali-sche DNA grundverschieden. Während das ältere „Trouble in Tahiti“ die zeitliche Nähe zu den Broadway-Erfolgen Bernsteins deutlich erkennen lässt, ist „A Quiet Place“ diffiziler, dissonanter und insbesondere in den langen Parlando-Passagen des ersten Aktes, nerviger. Das Sinfonieorchester Aachen mit Generalmusikdirektor Christopher Ward am Pult kommt mit der Partitur hervorragend zurecht und macht einen exzellenten Job. Präzise, spielfreudig, sensibel und, wo erforderlich, auch mit Härten, Schärfen und beachtlichen Phonwerten.
Die Schweizer Regisseurin Nina Russi liefert mit den beiden Bernsteinopern ihre erste Regiearbeit am Theater Aachen und kann mit einer in sich geschlossenen, stimmigen Inszenierung überzeugen, auch wenn bei Anflügen einer Tortenschlacht im letzten Akt eine gewisse Nachsicht geboten ist.
Unter den zahlreichen Solisten des Abends erfreuen vor allem die hervorragende Tenorstimme von Patrick Cook in der Rolle des François, der stimmlich überzeugende und darstellerisch brillante Auftritt von Fabio Lesuisse als durchgeknallter Junior und vor allem die großartig besetzte Mezzopartie der Dinah von Fanny Lustaud. Der Neuzugang im Aachener Ensemble glänzt dabei vor allem mit der zum Sterben schönen Arie „I was standing in a garden“.
So gerät auch diese Opernpremiere für das Theater Aachen zu einem weiteren beachtenswerten Erfolg in der laufenden Spielzeit. Zur Premiere zeigte das Publikum großen Enthusiasmus und spendete nicht enden wollenden Schlussapplaus. \ uh
10.3.
„Trouble in Tahiti / A Quiet Place“
18 Uhr, Bühne, Theater Aachen
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