Dirk Tölke
Was erwartet man von einem hundertjährigen Künstler? Dass er sich schon lange schont und auf seinen Lorbeeren ausruht, dass er seine Stilmittel in Nuancen verfeinert, dass er in Farbgebung, Material und Thematik neue Wege geht, weil er niemand mehr etwas beweisen und auch auf die Erwartungen des Kunstmarktes keine Rücksicht mehr nehmen muss?
Seine Kreativität zumindest kann er immer noch nutzen, auch wenn die Umsetzung anstrengender wird, länger dauert und die Hilfe anderer in Anspruch nehmen muss. Auch andere betagte Künstler haben noch beachtenswerte Alterswerke geschaffen.
Erfahrung ist die Kreativität des Alters. Götz schuf 2010 Porzellantafeln für Meissen, malt weiterhin und bleibt wachen Geistes. Sein einflussreiches Lebenswerk hat Karl Otto Götz bereits in mehreren Bänden Autobiographie und über eine Stiftung dokumentiert.
Daraus wird deutlich, wie viele Kontakte er geknüpft und avantgardistische Wege er früh beschritten hat. 1914 in Aachen geboren, technikaffiner Segelflieger, gegen den Vaterwillen an der Kunstgewerbeschule Aachen und mit seinen abstrakten Erstlingswerken vom Malverbot der Nazis ins Private gedrängt, wird er Nachrichtenoffizier der Luftwaffe in Dresden und Norwegen und entwickelt dort seine Fakturenfibel, die freies surreal figuratives Formgut zu systematisieren versucht und experimentiert mit neoexpressiven Spritzbildern und manipulierten Oszillographen.
Als wichtiger Mitbegründer des Informel, der Gruppe Quadriga und als einziges deutsches Mitglied der Gruppe Cobra ist er ein unermüdlicher Netzwerker und Kontaktmann nach England (Herbert Read), Paris, wo er schon 1947 ausstellt und Italien, was sich in zahllosen Briefwechseln und seiner Zeitschrift META (1948-52) niederschlägt, in der auch seine lebenslange lyrische Begabung erstmals öffentlich wurde.
1952 entsteht sein spezieller Stil, mit Gummirakeln und Pinseln eine Mischung aus Kleister und Farbe zu Schleuderformen zu gestalten, die er jahrzehntelang moduliert und in späten Jahren auch keramisch, in Metall oder als Lichtmalerei umsetzt. Seine Reputation drückt sich durch bedeutende Ausstellungsbeteiligungen (documenta, Biennale) und eine Professur für freie Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf aus (1959-79).
Hier prägte er wichtige junge Nachkriegskünstler (u.a. Graubner, Richter, Polke) und regte Nam June Paik durch seine Protocomputer-Graphiken und abstrakte Raster-Film-Experimente (Density 10:3:2:2) an. Sein Interesse an Informationstheorie, Persönlichkeitspsychologie und visueller Wahrnehmung seit 1959 verdichtete sich schriftlich 1972 in „Probleme der Bildästhetik“ (mit Gattin Rissa) und malerisch in informellen Farb-Form-Strukturen, die eine kontrollierte Spontaneität der Bildsprache zu erreichen versuchten, seit 1975 im neuen Atelierhaus in Wolfenacker.
Schnelle gestische Bewegung mit energetischen Zentren kennzeichnen Gouachen und Gemälde, später tauchen verstärkt kräftige Farben und Formkontraste auf, in lockerer Verteilung, aber gehäuft im letzten Jahrzehnt, auch Bezugnahmen auf zeitgeschichtliche Themen.
Gegenstandkontur oder illusionistische Tiefenwirkung haben seine nicht mehr fest umrissenen Formen jedoch nie, jedoch richtungsbetonte Rasanz oder rhythmische Ordnung und gewichteten Ausgleich kontrollierter Spontaneitätsverlaufsformen in dialogischem Prozess. Lebendige Farbe. \
„Karl Otto Götz. Gemälde und Nebenwege“
2.2. – 4.5. , Eröffnung 2.2. 12 Uhr
Zum 100. Geburtstag
Suermondt-Ludwig-Museum Aachen
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