Anne Sinclair (1948) ist die Tochter von Joseph-Robert Schwartz, der seinen Namen ab 1949 in „Sinclair“ änderte, und seiner Frau Micheline Nanette Rosenberg. Ihr Großvater mütterlicherseites, Paul Rosenberg (1881-1959), erlangte als Kunsthändler in Paris und später New York internationalen Ruhm und gehörte zu den Wegbereitern der Moderne: Als Galerist vertrat er aufstrebende Künstler wie Pablo Picasso, Henri Matisse, Georges Braque und Fernand Léger.
La Boverie präsentiert mit „21, rue la Boétie“ eine facettenreiche Ausstellung - es geht um die Biografie eines aussergewöhnlichen Mannes, der freundschaftlichen Kontakt zu den wichtigsten Künstern der Moderne unterhielt und gleichzeitig um den historischen Kontext. Das von der Brüsselner Agentur Tempora entwickelte Ausstellungskonzept kombiniert Kunstgeschichte mit Geschichte, ein umfangreicher Katalog erläutert die Kunstwerke und Hintergründe.
Ein zweiter Ausstellungsstrang demonstriert die Auswirkungen der nationalsozialistischen Kulturpolitik: Werke der so genannten „entarteten Kunst“ aus der Sammlung des Lütticher Museums werden der von den Nazis bevorzugten „Blut-und-Boden-Malerei“ gegenübergestellt.
Eine sehr plakative Aktion, die aber von kuratorischem Mut zeugt. Im direkten Vergleich erschaudert man aufgrund der so gegensätzlichen Welt- anschauung, ein Gefühl, das auch nach dem Verlassen des Museums nachhallt. Allein bei der Kombination von Picassos farbenfrohen Portrait der Familie Soler von 1903 mit dem beige-braun-bedrückenden Bildnis der Berg- bauernfamilie von Rudolf Otto von 1944 lässt sich die komplexe Tragik der Avantgarde ablesen.
Moderne Künstler
Man spürt in der Ausstellung den Esprit des Visionärs Paul Rosenberg, der in seiner berühmten Pariser Galerie in der namensgebenden Rue la Boétie klassizistische Kunstwerke des 19. Jahrhunderts im bourgeoisen Millieu verkaufte um damit die wilden, sperrigen und zunehmend abstrakter arbeitenden Künstler und Künstlerinnen des frühen 20. Jahrhunderts zu fördern. Das „System Rosenberg“ - die Auswahl der besten modernen Künstler, eine straffe geschäftliche Organisation, die akurate Dokumentation der Werke, internationale Geschäftsbeziehungen bereits vor dem Zweiten Weltkrieg auch nach New York und eine vorausschauende Werbung sowie zahlreiche Ausstellungen – machten Paul Rosenberg zu einem der wichtigsten Kunsthändler des 20. Jahrhunderts.
Das größte Juwel der Ausstelllung sind die Kunstwerke: „Le dejeuner“ von Fernand Léger (1921722) aus dem MoMa ausgeliehen, „Femme en vert“ von Pablo Picasso (1909) aus der Collection Van Abbe Museum Eindhoven, „Femme à la mandoline“ von Georges Braque (1937) aus dem MoMa… ein Genuss diese Schlüsselwerke der Moderne vereint zu sehen. Und natürlich die um 1920 entstandenen Harlekine von Pablo Picasso, die dem Buch von Anne Sinclair, in der deutschen Übersetzung den Titel gaben „Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?“, zauberhafte Entwürfe, inspiriert durch das Ensembles Ballets Russes. Eine besondere Entdeckung sind die Bildnisse von Marie Laurencin (1883-1956), die als ‚persona non grata‘ aus Frankreich vertrieben, nach ihren Hochzeitsreise in Spanien bleibt und von Goya und Vélasquez inspiriert, in zarten Paselltönen malte. \ bep
bis 29.1.2017
„21, rue la Boétie“
La Boverie, Lüttich
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