Von Dirk Tölke
Der Nachlass von Peter Lacroix wird in der von Andreas Petzold geleiteten „Galerie am Elisengarten“ betreut, die auch den Katalog finanziert hat.
Die Beziehungen zu Aachener Künstlern und auch zu Lacroix sind so alt wie die ersten in der Überblicksausstellung gezeigten Zeichnungen und informellen Arbeiten von Peter Lacroix, der sich ständig weiteren Ausdrucksformen zugewandt hat und wenig geneigt war, auf seine Anfänge noch einmal zurückzublicken.
Durchdacht, aber boheilos
Das wird jetzt durch Kuratorin Dr. Annette Lagler anders, zu Frommen des Publikums.
Ein leichter Zugang zu dem sich sperrig gebenden Künstler ist damit nicht erreicht, aber ein Zugang durch Hergang, ein Verlauf von Realismus über Informel zum Konkreten mit dem Charakter unverbissener Präzision und schalkbitterer Frontverteidigung der Moderne, darin ganz lokale Avantgarde: durchdacht, aber boheilos unintellektuell, kampfwillig stänkersam, aber so bodenständig, dass ihm überregionaler Ruhm zu Lebzeiten versagt blieb. Unverdient, wie die Ausstellung zeigen wird.
Ein Sack graues Aachen
Der gelernte Theatermaler und Mitgründer der „neuen Aachener Gruppe“ von 1953 war stets treibende Kraft und unbequem, machte den Mund auf, betrieb die „Welsche Mühle“ in Haaren, förderte und sammelte Kollegen, aber kritisierte sie auch.
Als 1975 ein Richter Lacroix untersagte, die Hausfassade der Galerie von der Milwe farbig zu gestalten, erhielt er von diesem „einen Sack graues Aachen“, eine Beutel-Edition gefüllt mit Schutt und Dreck.
Signalhaft farbig oder streng schwarz-weiß
Er bleibt im Kern ein Zeichner. Von Informel, geometrischer Abstraktion, Armanschen Objektterrarien, Dubuffet und Farbfeldmalerei angeregt, fand die darin lauernde minimalistische Konzentration in den späten 60er Jahren ein konkretes Ziel in signalhaft farbigen oder streng schwarz-weißen Geometriewelten, die von selbstgewählten Regeln bestimmt waren, die die zugrundeliegenden aus persönlichen Daten stammenden Zufallszahlen in ein attraktives Erscheinungsbild umzusetzen in der Lage waren.
Seien es Würfelaugen, Kassenzettelzahlen, Geburtsdaten oder Blutwerte. Skeptische Konzeptkunst mit Augenzwinkern. Nicht Wertanlagen, sondern die Anlage von Werten sind sein Thema gewesen.
Diffizil schroffer Charme
Sein auch „systematischer Konstruktivismus“ genanntes Arbeitsprinzip nutzt aus alltäglichen Lebensvorgängen erwachsene Zahlenkolonnen. Diese zufällig entstandenen, aber mit Erfahrung ausgewählten statistischen Lebensbekundungen wußte Lacroix in Muster und Strukturen umzusetzen, die diffizil schroffen Charme besitzen.
Die Erfindung dieser Umsetzungen in Balkendiagramme, Kreissegmente oder Quadratfragmente durch Zuordnung von Zahlen zu Teilfeldern solcher Module macht den künstlerischen Akt aus, der in seiner handwerklich präzisen Ausführung bis zum Schluss der vorgegebenen Zahlenkolonnen auch für Lacroix selbst noch ein spannender Entdeckungsprozess blieb.
Neues aus Vorgefundenem
Die spröde Struktur selbst, in Schwarz und Weiß von schärferer Präsenz gekennzeichnet, nicht eine irgendwie geartete Assoziation an Gegenstände oder technische Formen, ist ihm wichtig gewesen.
Der spannungsgeladene Reichtum der Formen, den ihn die Zahlenkolonnen geschickt entdecken liessen, war sein Konzept. Aus Vorgefundenem wird Neues nachgefunden, schelmisch schlicht dargebracht und betitelt als Rosenteilung, Vitasaft, Dreisonntage, Blutbank oder Blutlandschaften.
Produktiver Wahr-Nehmer
In dieser letzten Serie erweist sich erneut die strenge Anspielungsdichte. Die für Blutwertmessungen aus der Fingerspitze erpickten Tröpfchen Blut werden in Anspielung auf den Namen Lacroix in Kreuzform auf Papier getupft und mit Zahlenwert versehen kunstvoll archiviert.
Das sind Gestaltfindungsprozesse, die keinen Zufallsgenerator brauchen, sondern einen produktiven Wahr-Nehmer. So einer war Peter Lacroix, der aus der Fülle der banalen Zufälle funktionierende Module auslotet und gerne kokettierte: „Mehr ist es nicht. Man sieht nur, was man sieht.“
Sorgfältig sperrig und bodenständig
Wo andere Landschaft, Figur und Gegenstand als Anregung für eigene Bildwelten nutzen, hat er für Zahlenmaterial aus der Alltagswelt Strukturen erfunden, die – keineswegs automatisch - in seiner formelhaften Umsetzung anfangs sehr strenge, später variable und ergiebige, oft clusterhafte Formmodule zu Tage förderten.
Ein entzaubernd nüchterner Modulator. Eine sorgfältig sperrige Kunst und bodenständige Theorielastigkeit, an der man sich noch lange reiben kann. Ein Fall von Regionalavantgarde.\
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