Von Dirk Tölke
Die überraschenderweise einzige Ausstellung zum bedeutungsüberladenen Symboljahr 1968 führt im Ludwig Forum Bild-Ikonen, Filme, Objekte und Pamphlethaftes zu einem nostalgiefreien Revoltezeitparcours zusammen. Die überbordend produktiven 1960er können in ihrem Gären kaum kompakt erfasst werden – das heißt: Es lechzt nach Mehrfachbesuchen.
Die populäre Sicht auf 1968 von Behauptungen und Deutungshoheitsversuchen der konservativen Presse und K-Gruppen als historischem Ballast zu befreien, bleibt schwierig. 1968 war Revoltehöhepunkt in 56 Nationen. Damit verbunden war die Einforderung, Ernst zu machen mit freiheitlich demokratischen Strukturen, die emotional zu einer Trennung von Staat und Bürgern führte und Bürgerbewegungen hervorbrachte. Kunst, aus der abstrakt-informellen Subjektivität ästhetischer Konzepte zu sich einmischender Relevanz aufgestachelt, wollte sich gesellschafts- und bewusstseinsverändernd wieder verantwortlich mit Realität und Gegenwart befassen.
Einen Ansatz für die Wahrnehmung außereuropäischer Entwicklungen macht die Ausstellung. Zu erforschen ist da noch vieles. Im von Kolonialismusfolgen wenig betroffenen Deutschland mit seinen speziellen Verdrängungsprozessen, unverzeihlichen Reinwaschungen und nationalsozialistischen Verstrickungen war die Trotzreaktion entsprechend heftig.
Wut und Radikalität
Da trafen mit Demokratieidealen aufgewachsene und sie selbstverständlich einfordernde junge Menschen auf untertanenhaft obrigkeitstreu indoktrinierte Ältere. Wie gründlich in nur zwölf Jahren dieses Land von 1933 bis 1945 in seinen Besitzverhältnissen umgebaut, mit industriellem Morden belastet, emotional verroht und in seiner Selbstachtung vergiftet wurde, wieviele ernsthaft Verstrickte gewissenlos davonkamen, während Bagatelltäter geächtet wurden und Kinder von Fraternisierern europaweit leiden mussten, wird in seiner Sprengkraft im Umgang mit Fritz Bauer deutlich, der die Auschwitzprozesse durchsetzte. Das macht Wut und Radikalität verständlich.
Der Eichmannprozess, der Prager Frühling, die Aufstände in Paris, der Vietnamkrieg und so weiter, verstärkten dieses Moment der Ungerechtigkeit. Zugleich wuchs ein zartes Bewusstsein für das Raumschiff Erde und die Ausbeutung der Natur.
Vielschichtig dargestellt
Mit der Fülle ihrer Exponate in nach 50 Jahren Kunstgeschichte nun sachlich rekapitulierender Gruppierung bietet die Ausstellung Themeninseln und freie Vernetzungen. Die einst wohl stärker Sprengkraft entfaltenden Provokationsobjekte wirken mitunter neckisch und niedlich. Die vielen Filme vermitteln Aufbruch- und Krawallstimmung. Überhaupt sind diese und die Fotografien stärker Hoffnung und Enttäuschung vermittelnd. Aber selbst die teils zu mahnenden Altären gesteigerten Holocaustfotos vermögen das zu Bewusstsein kommende Grauen dessen, was Menschen sich systematisch gegenseitig angetan haben, nicht zu vermitteln.
Die verfilmten Fotos vom Prager Frühling verdichten den Konflikt von Staatsmacht und Freiheitsdrang, der Bürger und irritierte Befehlsempfänger aufeinander hetzte. Ansonsten triumphiert die Bildform der Collage, die durch Vermengung und Kontrastbildung die empfundenen Widersprüchlichkeiten gesellschaftlicher Zustände offenzulegen versucht, aber Zettelkastenaufzählung und Wirrsal nicht entkommt. Irritation scheint Zeitausdruck gewesen zu sein. Viel Aufbegehren, Experiment und Tabubruch war in der Kunst schon seit 1957 angedacht, die Einbeziehung von Werbung und Alltagskultur in der Pop Art wirksam.
Das Sichtbarmachen und Überschreiten von Grenzen in Malweise, Körperkunst, Aktionen und Performances, die Ironisierung von Demokratieanspruch und Propagandaformen, Konsum- und Kapitalismuskritik, zager Feminismus in einer machogelenkten sexuellen „Befreiung“ in der es nicht hieß „Wer zweimal mit demselben pennt, gehört schon zum Establishment“ und subversive Zirkel, wie etwa der in seiner Wirkung ersterschlossene Keller Dieter Kunzelmanns in München sind in der Ausstellung zu finden.
Die Graphik politischer Plakate und sonstiger grauer Revolteliteratur ist erkenntnishebend ausgebreitet und bietet sich einer neuen Gewichtung und Aufmerksamkeit der Forschung an. Bildkultur und künstlerische Kraft statt ästhetischer Genuss bestimmen die Entgrenzungsstrategien. An einer Auseinandersetzung mit Gesellschaftswandel und einem Vergleich mit heutigen Zuständen lassen einen Doppel-Ausstellung (Internationales Zeitungsmuseum), museumspädagogisches Programm und Katalog nicht vorbei. \
bis 19.8.
„Flashes of the Future. Die Kunst der 68er
oder Die Macht der Ohnmächtigen“
Ludwig Forum für Internationale Kunst
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