Von Christoph Löhr
Mitte April auf Hof Bonnie: Gut 100 Menschen tummeln sich an diesem Sonntagnachmittag auf dem weitläufigen Gelände in der Aachener Soers. Soeben ist auf dem Partnerhof von „meine ernte“ die Gemüsegartensaison 2015 eröffnet worden.
Jetzt geht es zur Sache: Denn zwischen kurzer, feierlicher Eröffnungs-Ansprache im Frühling und eigener Ernte im Herbst hat die Natur harte Arbeit gesetzt. Und genau die beginnt jetzt und hier für die Hobbygärtner, die größtenteils aus Downtown Aachen kommen.
Städter auf dem Acker: Wie in anderen urbanen Distrikten hat das Konzept Selbsternte auch in der Kaiserstadt längst Fuß gefasst. Und boomt und boomt und boomt.
Saisonale Pächter
Die Idee hinter „meine ernte“ ist so einfach wie genial: Von Profis vorbepflanzte Parzellen eines Feldes werden an eben jene Hobbygärtner verpachtet. Dazu wird ein Acker in Längsreihen mit rund 25 Gemüsesorten bestückt und anschließend quer in, je nach Preislage, unterschiedlich große Abschnitte unterteilt.
Jeder Gärtner erhält somit das gleiche Repertoire an Pflanzen, mit deren Hege und Pflege er sich dann fortan beschäftigen muss, während er sich auf die Ernte des selbst gezogenen Gemüses freuen kann. Das Pachtverhältnis läuft immer über eine komplette Saison. Klar, ließe sich doch sonst nicht die Reife sämtlicher Pflanzen erleben. Frühsommer, Spätsommer, Herbst: Irgendetwas gibt es immer zu genießen.
Sprechstunde und Workshops
Seit 2010 kooperiert das Bonner Unternehmen „meine ernte“ mit Hof Bonnie in der Soers. Landwirt Christoph Bonnie und die Seinen bewirtschaften das Land in der dritten Generation. Seinen Pächtern steht er – ebenso wie die Leute von „meine ernte“ – mit seinem Expertenwissen zur Seite.
Einmal pro Woche findet eine Sprechstunde statt. Regelmäßig bietet Bonnie zudem Workshops für die Amateur-Kollegen an, in denen landwirtschaftliche Grundlagen vermittelt werden. Schaden kann das sicher nicht. Es ist noch kein perfekter Landwirt vom Himmel gefallen. Und gerade diejenigen, die das Konzept Selbsternte neu für sich entdecken, sind in Sachen Harken, Jäten, Zupfen oder Gießen oftmals blutige Anfänger.
Einfach mal angemeldet
Blutige Anfänger waren auch Petra Hecker und ihre Familie einmal. Im Jahr 2011 pachteten die Lehrerin und ihr Lebensgefährte Jörg Friese erstmals eine Parzelle auf Hof Bonnie.
„Eine Bekannte erzählte mir von ihrer Erfahrung mit der Selbsternte. Wir sahen, dass das auch in Aachen möglich ist, und meldeten uns einfach mal an.“
Hinwendung zur Natur
Neugier nennt sie im Rückblick als eines ihrer Motive, aber auch den Willen zur bewussten Abgrenzung von der Überflussgesellschaft bei gleichzeitiger Hinwendung zur Natur.
Deren Rhythmus wollten sie folgen, Regionales auf den eigenen Teller packen, wenn dessen Zeit gekommen ist.
Gärtnern als Familienerlebnis
„Wenn man erst einmal Verantwortung für solch eine Parzelle übernommen hat, verbringt man ziemlich viel Zeit draußen an der frischen Luft – eine tolle Abwechslung, wenn man sonst viel in der Stadt unterwegs ist.“
Gärtnern ist für Hecker und Friese zu einem Familienerlebnis geworden: Beinahe vom ersten Tag ackern die beiden Kinder mit. Nicht immer im Sinne der Gemüseaufzucht, aber immer schwer begeistert.
Meilenstein Radieschen
Die ersten eigenen Radieschen nach gerade einmal sechs Wochen, die ersten eigenen Kartoffeln und das erste komplett selbst großgezogene und geerntete Familienessen stellten Meilensteine auf dem Weg zu ihrer Landwirtwerdung dar.
Bis heute erzählt Jörg Friese von der ersten eigenen Paprika, die als einzige die harte Witterung des Sommers 2011 überlebte, um kurz vor der Ernte einem bis heute nicht gefundenen Mundräuber zum Opfer zu fallen.
Am Ball geblieben
Im Jahr darauf sah die Paprika-Situation schon ganz anders aus. Wie überhaupt Erfahrung und Ertrag von Jahr zu Jahr bislang gewachsen sind.
Denn Petra Hecker, Jörg Friese und ihre Kinder sind selbsterntetechnisch am Ball geblieben. Im Rahmen der Saisoneröffnung Mitte April haben sie zum mittlerweile fünften Mal ihre vorbepflanzte Parzelle in Empfang genommen.
Keine Grenzzäune
Mit allen anderen Pächtern haben sie im Gänsemarsch Trampelpfade auf dem Feld angelegt. Ein fast schon traditioneller Akt.
In den kommenden Monaten werden diese Pfade als Einteilungsmarkierungen zwischen den einzelnen Parzellen fungieren. Grenzzäune gibt es auf diesem Teil von Hof Bonnie nicht.
Neues Gemeinschaftsgefühl
Jeder kann für sich aktiv werden und trotzdem wirkt das Gelände wie ein großes Ganzes. Das bierernste, irgendwie ur-deutsche, heckenbewehrte „Mein Förmchen, Dein Förmchen“ klassischer Gartenkolonien fehlt.
Und fehlt dann doch wieder nicht. Abgesehen von Parikaentwendern fördert das Konzept Selbsternte auch eine neue, freiere Art von Gemeinschaftsgefühl.
Vielfältige Ernährung
„Die Zahl unserer Mitgärtner steigt stetig“, hat Petra Hecker weiteren Pächterzuwachs auch in diesem Jahr beobachtet. Immer mehr Menschen aus der Stadt verspüren offenbar Lust auf eine kleine Teilzeit-Flucht aufs Land.
Die Effekte auf das eigene Leben und Konsumieren sind dabei klar zu benennen: „Unsere Ernährung haben wir erheblich umgestellt. Sie ist vielfältiger geworden. Denn manche Pflanze, die wir heutzutage ernten und essen, ist früher nie bei uns im Einkaufskorb gelandet. Mangold, zum Beispiel. Oder Pastinaken.“
Gutes Gefühl
Neben der Verbreiterung des Nahrungsangebots daheim schwingt auch immer das gute Gefühl mit, sich und die Kinder deutlich gesünder zu ernähren als je zuvor – Achten auf Bio-Etiketten im Supermarkt hin, genaues Inspizieren der Ware in der Gemüseabteilung her.
Petra Hecker: „Und es schmeckt einfach besser, wenn man weiß, welche Arbeit man in diesen einen Salat gesteckt hat.“
Hegen, jäten, Wasser holen
Darum wird Familie Hecker-Friese auch im Jahr 2015 wieder regelmäßig auf dem eigenen Stück Acker anzutreffen sein.
Dort werden die vier die sprießenden Pflänzchen hegen, Unkraut jäten, gießkannenweise Wasser holen, dem Wetter trotzen und am Ende jubelnd von dort die eigene Ernte nach Hause tragen.\
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