Verletzt
Als die Kellnerin Esma (Mirjana Karanovic) und der Türsteher Pelda (Leon Lucev) sich nach der Arbeit in einem Nachtclub das erste Mal bei Tageslicht betrachten, stellen sie fest, dass sie sich aus dem Leichenschauhaus kennen. Immer wieder werden in Grbavica, einem Stadtteil Sarajevos, der während des Krieges von Serben besetzt war, Massengräber ausgehoben. Wer Mann, Frau, Vater oder Mutter verloren hat, der pilgert regelmäßig zu den gerichtsmedizinischen Identifizierungen. Esma und Pelda erkennen einander als versehrte Seelen, aber ein Liebespaar wird aus ihnen nicht. Nicht weil die beiden aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen kommen. Sondern weil Pelda ein Mann ist und Esma eine Frau — eine von 20.000 Frauen, die während des Bosnienkrieges von Serben systematisch vergewaltigt wurden. Ihre traumatischen Erfahrungen hält Esma unter Verschluss. In der Selbsthilfegruppe schweigt sie sich genauso aus, wie gegenüber ihrer 12jährigen Tochter Sara (Luna Mijovic). Der Konflikt spitzt sich zu, bis Esma dem Mädchen die schmerzhafte Wahrheit über seinen Vater ins Gesicht schreit.
Die bosnische Regisseurin Jasmile Zbanic entwirft in „Esmas Geheimnis“ das stimmige Porträt einer Frau, die nach den Grauen des Krieges ums eigene seelische Überleben kämpft. Mirjana Karanovic legt ihre Figur nicht als passives Opfer an, sondern als Frau, die sich dem harten Alltag im „neuen“ Sarajevo stellt, ihr Leben um das Wohlergehen ihrer Tochter organisiert und ihre traumatischen Erfahrungen fest in sich verschließt. Zbanic hält den Fokus auf die komplexe Mutter-Tochter-Beziehung und zeichnet trotzdem in Seitenblicken ein differenziertes Bild der bosnischen Nachkriegsgesellschaft, in der die Verletzungen des Krieges längst noch nicht überwunden sind. /// Martin Schwickert
Bewertung der redaktion
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