Von Martin Schwickert
Oft entscheiden die kurzen, unbedachten Momente die Richtung des Lebens. Es ist nur ein Sekundenbruchteil der Unaufmerksamkeit, in dem scheinbar aus dem Nichts der verschneiten Landschaft ein Kinderschlitten vor ein Auto gleitet.
Ein Junge stirbt, sein älterer Bruder bleibt unversehrt. Schuld im rechtlichen Sinne trägt hier keiner. Aber Schuld ist ein mächtiges, nagendes Gefühl, dem Wim Wenders in seinem 21. Spielfilm „Every Thing Will Be Fine“ nachgeht.
Tragische Erfahrung und Schuld
Schuldig fühlt sich natürlich der Fahrer Tomas (James Franco), der nach dem Unfall einen halbherzigen Selbstmordversuch unternimmt, um später irritiert festzustellen, dass die tragischen Erfahrungen ihn zu einem besseren und erfolgreichen Schriftsteller gemacht haben.
Neben der Trauer um das verstorbene Kind befallen auch die Mutter (Charlotte Gainsbourg) starke Schuldgefühle, genauso wie den überlebenden Sohn Christopher, der sich für den Tod seines jüngeren Bruders verantwortlich fühlt.
Verschiedene Zeitetappen
Das Interessante an „Every Thing Will Be Fine“ ist, dass Wenders nach dem hochdramatischen Ereignis die emotionale Intensität herunterschraubt und über eine Zeitspanne von mehr als zehn Jahren die Veränderungen im Dasein der Betroffenen verfolgt.
Die Zeit – so heißt es – heile alle Wunden. Wenders beobachtet diesen Heilungsprozess über verschiedene Zeitetappen hinweg.
Bitterer Nachgeschmack
Und das Leben geht auch nach dem tragischsten aller vorstellbaren Vorfälle weiter. Aber es bleiben Spuren und Narben, die immer wieder aufbrechen können.
Tomas trennt sich nach dem Unfall von seiner Lebensgefährtin und versucht mit einer anderen Frau ein paar Jahre später eine neue Familie zu gründen. Aber es bleiben Risse im scheinbar harmonischen Gefüge, ein bitterer Nachgeschmack im beruflichen Erfolg, eine innere Einsamkeit, die alle Beteiligten nicht loswerden.
Sanfte Präzision und 3D
Das alles zeigt Wenders mit sanfter Präzision, ohne sentimentale Effekte – und in 3D. Schon in „Pina“ hatte er die Technik, die bis dahin Action- und Fantasy-Abenteuern vorbehalten war, für den Dokumentarfilm zugänglich gemacht.
In „Every Thing Will Be Fine“ demonstriert er, dass der Einsatz von 3D auch in einem intimen Familiendrama sinnvoll sein und der Einsamkeit der Figuren visuell eine enorme Tiefe verleihen kann.\
Bewertung der redaktion
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