Von Karin Jirsak
Im Jahr 2015 verpasste Regisseur - Sebastian Schipper dem deutschen Kino mit seinem – in nur einem einzigen Take gedrehten – Berlin-Movie „Victoria“ eine wohltuende Adrenalinspritze und sorgte auch international für Aufsehen. In seinem neuen Film geht er es technisch weniger experimentell an und überzeugt stattdessen mit einer sensibel erzählten Geschichte über zwei Jugendliche, die trotz unterschiedlicher Herkunft viel mehr gemeinsam haben als nur das Reiseziel.
Beide Teenager sind gleichermaßen Flüchtende wie Suchende – nach Identität, Zugehörigkeit und einer Zukunft, die noch keinerlei Konturen hat. Gyllen (Fionn Whitehead, „Dunkirk“), ein 18-Jähriger aus London, macht mit seiner Familie Urlaub in Marokko. Nach einem Streit mit seiner Mutter „borgt“ er sich das Wohnmobil seines Stiefvaters und will nach Frankreich abhauen, wo sein Vater lebt. Als das antiquierte Gefährt liegenbleibt, begegnet er dem gleichaltrigen William (Stéphane Bak), der aus dem Kongo geflüchtet ist. Auch er will nach Frankreich, um seinen Bruder zu suchen.
Dass der illegal eingereiste William sich über weite Strecken in der engen Fahrzeugtoilette verstecken muss, sorgt auf diesem Roadtrip für weniger dramatische Situationen als man erwarten könnte. Stattdessen nimmt sich Sebastian Schipper („Absolute Giganten“) viel Zeit, um zu erzählen, wie Gyllen und William sich unterwegs kennenlernen und Freunde werden. Flüchtige Begegnungen am Wegesrand, unter anderem mit Moritz Bleibtreu als durchgeknalltem Hippie, der den Jungs immerhin unabsichtlich einen Riesenhaufen Hasch hinterlässt, sorgen für das eine oder andere kleine Abenteuer. So weit, so gewöhnlich. Vor allem im letzten Drittel gelingt es Schipper dann aber, sein wichtiges Thema auf den Punkt zu bringen, indem er die Freundschaft, in der die Unterschiede von Anfang an kein Problem zu sein schienen, durch eben diese doch noch auf die Zerreißprobe stellt.
Bestechend ist dabei vor allem der realistische, unaufdringliche Blick, mit dem der Regisseur die Situation Geflüchteter in Europa einfängt. „Roads“ ist aber keine didaktische Geschichte über die Opfer der sogenannten Flüchtlingskrise, sondern ein leiser Coming-of-Age-Film, der seine Akteure ernst nimmt und den Fokus mehr auf Gemeinsamkeiten als auf Unterschiede legt, ohne diese zu relativieren. Und den beiden Jungdarstellern gelingt es mit bemerkenswert authentischem Spiel, einige emotionale Momente zu erzeugen, die lange nachwirken. \
„Roads“
D/F 2018 // R: Sebastian Schipper
Start: 31.5. | 99 Minuten | FSK 6
Sebastian Schipper
Der Regisseur fand über die Schauspielerei – zuletzt hatte er größere Rollen in „Ludwig II.“, Tom Tykwers „Drei“ und beim NDR-„Tatort“ – früh auch hinter die Kamera. Gleich sein Regiedebüt „Absolute Giganten“ war 1999 ein Achtungserfolg. 2006 drehte er „Ein Freund von mir“ mit Daniel Brühl und Jürgen Vogel, 2009 „Mitte Ende August“ mit Marie Bäumer und Milan Peschel. Für „Victoria“ erhielt er 2015 den Deutschen Filmpreis für den besten Film und die beste Regie. \
Bewertung der redaktion
WEITEREMPFEHLEN