Von Peter Hoch
Priester, die Kinder missbrauchen, und geistliche Würdenträger, die die Taten anderer vertuschen: Der größte Skandal der katholischen Kirche erschüttert seit Jahren die Weltöffentlichkeit. Auch das Kino hat sich des Themas angenommen, am aufsehenerregendsten mit dem Mediendrama „Spotlight“, das 2016 den Oscar für den besten Film gewann. Einen noch immer schwelenden, in höchste Kreise reichenden Fall aus seiner französischen Heimat hat nun Regiestar François Ozon in seinem jüngsten Werk in sehenswerte Spielfilmform gebracht.
Zufällig wird der gutsituierte Familienvater Alexandre (Melvil Poupaud) aus Lyon eines Tages mit verdrängten Wahrheiten konfrontiert und darauf aufmerksam, dass Pater Bernard Preynat, der ihn einst als Pfadfinder sexuell missbrauchte, immer noch Priester ist und Kinder unterrichtet. Aufgewühlt wendet er sich an die zuständigen Stellen der Diözese und an Kardinal Philippe Barbarin (François Marthouret) höchstpersönlich, wie detaillierte – und originale – Briefwechsel aus dem Off verdeutlichen. Irgendwann schlägt man ihm ein Treffen mit seinem früheren Peiniger (Bernard Verley) vor, das ernüchternde Gespräch und das Folgeprozedere bewirken, dass Alexandre schließlich Anzeige erstattet. Ab hier widmet sich der Film François und Gilles (Denis Ménochet, Éric Caravaca), an denen sich Preynat früher ebenfalls vergangen hat und die, als sie von der Anzeige erfahren, eine Selbsthilfegruppe gründen. Gemeinsam mit Mitgliedern wie Emmanuel (Swann Arlaud), der von Epilepsieanfällen geplagt wird und sein Leben nie in den Griff bekam, wollen sie Kräfte bündeln, ihre Vergangenheit aufarbeiten, Frieden finden und mögliche neue Opfer verhindern, indem sie juristische Schritte forcieren – gegen Preynat und alle Kirchenmitarbeiter, die sich aus der Verantwortung ziehen.
Unreißerisch und beinahe dokumentarisch schildert Ozon die realen Ereignisse von 2014 bis heute, nimmt sich dabei nur wenige dramaturgische Freiheiten und beleuchtet zahlreiche Facetten des Falls, insbesondere, was die Psyche und das familiäre Umfeld der Opfer betrifft. Das Gezeigte macht nachvollziehbar, welche Mechanismen greifen, Erlittenes lange zu verdrängen – und ebenso, welche Mechanismen hinter geweihten Mauern einsetzen, alles unter den Altar zu kehren. Religiosität wird bei alledem nicht angeprangert, es fallen vielmehr Sätze wie „Ich tue das für die Kirche, nicht gegen sie“, sodass sich das Publikum die am Ende von Alexandres Sohn gestellte Frage „Glaubst du noch an Gott?“ ganz individuell beantworten kann. \
„Gelobt sei Gott“
F/B 2019 // R: François Ozon
Start: 26.9. | 137 Minuten | FSK 6
Die Folgen
Am 3. August 2018 wurde in Frankreich die Verjährungsfrist von 20 auf 30 Jahre ab Erreichen der Volljährigkeit der Opfer angehoben. Das Nichtanzeigen sexueller Übergriffe auf Minderjährige ist seitdem eine fortgesetzte Straftat. Am 7. März 2019 wurde Kardinal Barbarin zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, er ging in Berufung und gilt weiterhin als unschuldig. Pater Preynat wurde am 4. Juli 2019 die Priesterwürde entzogen, die gerichtliche Untersuchung gegen ihn läuft noch. \
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