Von Karin Jirsak
Hoch über dem Gewusel der südkoreanischen Metropole Seoul wird ein Prachtbau wie aus dem Hochglanz-Architekturmagazin zum Schauplatz einer fiesen, kleinen Revolte. In diesem hochmetaphorischen Raum treibt der südkoreanische Regisseur Bong Joon-ho („The Host“, „Snowpiercer“) mit viel Tempo und schwarzem Humor den Klassenkampf in seiner Heimat auf die Spitze. Geschont wird dabei nichts und niemand.
Wer sind hier die Parasiten? Die arbeitslose Familie Kim, die in einem schabenverseuchten Kellerapartment haust und noch in die letzten Ecken kriecht, um sich ins WLAN der Nachbarn einzuzecken? Oder vielleicht doch die reichen Parks (Lee Sun-kyun, Cho Yeo-jeong), die im absurd schicken Designerhaus residieren, ihre Neurosen kultivieren und ihre Angestellten wie allzeit verfügbare Werkzeuge behandeln? Das ist nur eine der Fragen, die sich beim Genuss von Bong Joon-hos irrem Mix aus Gesellschaftssatire und Home-Invasion-Thriller stellen. In der Luxusresidenz entwickelt sich ein abgedrehter Plot voller unerwarteter Wendungen, als die listigen Kim-Geschwister Ki-woo (Choi Woo-shik) und Ki-jung (Park So-dam) sich mit raffiniert gefälschten Kompetenznachweisen als Nachhilfelehrer beziehungsweise Kunsttherapeutin der verwöhnten Park-Sprösslinge in Lohn und Brot bringen. Über die weitere Handlung sei nur verraten, dass Bong mit sämtlichen Figuren alles andere als zimperlich umgeht, was im hemmungslos eskalierenden Finale nahezu tarantinohafte Züge annimmt.
Eine große Stärke des Films liegt darin, alle Protagonisten als Vertreter ihrer Klassen nicht in „gut“ und „schlecht“ einzuteilen, sondern sie in allen Graustufen als moralisch ambivalente Akteure fassbar zu machen. Dabei schwankt der Zuschauer immer wieder zwischen hämischer Schadenfreude und fast schon so etwas wie Mitleid gegenüber den weltfernen Hausbesitzern, die in ihrer naiven Ignoranz überhaupt nicht bemerken, wie ihr äußerlich perfektes Leben von unten gekapert wird. Im Zentrum steht der mehrstöckige Prachtbau als Bild für die hierarchische Ordnung der südkoreanischen Gesellschaft, in der aus europäischer Sicht sklavische Arbeitsverhältnisse die Regel sind und soziale Absicherung nur ein schöner Traum ist. Für seine kunstvoll gefilmte und vielschichtig erzählte Parabel wurde Bong Joon-ho bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Politisches Interesse ist allerdings keine Voraussetzung, um sich vom Piraten-Spirit seines herrlich frechen und spannenden Schelmenstücks mitreißen zu lassen. \
„Parasite“
KOR 2019 // R: Bong Joon-ho
Start: 17.10. | 132 Minuten | FSK 16
Namensfrage
In vielen asiatischen Ländern und in Ungarn wird der Familienname vor dem Vornamen genannt. Im Westen wird dies bei Japanern und Ungarn an die übliche Reihenfolge angepasst, ansonsten herrscht inzwischen Chaos. Betroffen sind Namen aus China, Vietnam, Korea, Kambodscha, Taiwan, der Mongolei und Teilen Indiens. So wird beispielsweise Regisseur Bong Joon-ho – Vorname Joon-ho, Nachname Bong – in manchen Medien auch Joon-ho Bong geschrieben, während die Staatschefs Xi Jinping und Kim Jong-un bleiben dürfen, wie sie sind. \
Bewertung der redaktion
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