Von Peter Hoch
Als Regisseur Sam Mendes für die Eröffnungsszene von „Spectre“ Daniel Craig 2015 als James Bond in einer ununterbrochenen Kamerafahrt durch den „Tag der Toten“ von Mexiko-Stadt schickte, ist er offenbar auf den Geschmack gekommen. Sein neuer Film wirft die Zuschauer gemeinsam mit den beiden Protagonisten mitten hinein in den Stellungskampf zwischen Engländern und Deutschen im Norden Frankreichs im Ersten Weltkrieg – inszeniert als spektakuläre Plansequenz.
Aschfahle Gesichter und ein Gewirr aus Gängen und Geröll – das ist alles, was der junge britische Soldat Schofield noch um sich herum in den Schützengräben wahrnimmt. Erschöpft irrt er an einem trüben Frühlingstag des Jahres 1917 umher, bis ihn sein Freund Blake mit zum Divisionsgeneral nimmt, der sie auf eine Mission schickt, deren Ausgang über Leben oder Tod von 1.600 Kameraden entscheiden könnte. Die wollen den Rückzug der Deutschen ausnutzen, um den Feind mit einer Offensive empfindlich zu treffen. Doch im Hauptquartier hat man erfahren, dass das Ganze eine Falle ist und der Gegner auf der Lauer liegt. Weil die Warnung nur persönlich übermittelt werden kann, sollen Schofield und Blake sich auf den Weg machen, das andere Bataillon vor einem Gemetzel zu bewahren. Ein Unterfangen im verwüsteten Niemandsland, das sie an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringen wird.
Letzteres dürfte ansatzweise auch für Cast und Crew während des Drehs gegolten haben: Zwar wurde „1917“ nicht wirklich in nur einem einzigen Take gefilmt, sondern geschickt geschnitten und getrickst. Die Wirkung ist aber dieselbe und die Einzelsequenzen sind so aufwendig gestaltet, dass man von einer logistischen Meisterleistung sprechen kann, die intensiv miterleben lässt, welchem Wahnsinn die unbedarften Soldaten damals ausgesetzt waren. Gewichtigen Anteil daran hat neben der Arbeit von Kameragott Roger Deakins („Blade Runner 2049“) die bedrohliche Filmmusik des 13-fach für den Oscar nominierten Thomas Newman („Road to Perdition“). Bei aller technischen Raffinesse sind es aber auch die Leistungen der beiden Nachwuchsdarsteller George MacKay („Pride“) und Dean-Charles Chapman („Game of Thrones“) sowie die pointiert auftauchenden und prominent besetzten Nebenfiguren, die zum Gelingen beitragen. Inspiriert wurde das fiktive Drehbuch von den Erzählungen von Mendes’ Großvater und dessen Erlebnissen nahe der Hindenburglinie. Weshalb „1917“ dann allerdings auch ein lupenreiner Kriegsfilm ist, der denjenigen, die mit dem Genre nichts anfangen können, trotz aller Perfektion nicht behagen wird.
One Shots
Filme mit Plansequenzen gibt es einige, etwa „Im Zeichen des Bösen“, „Good Fellas“ und „The Revenant“. Hitchcocks „Cocktail für eine Leiche“ wirkte 1948 wie in einem Stück gedreht, jüngere getrickste Vertreter sind die Oscargewinner „Birdman“ und „Son of Saul“. Tatsächlich in nur einem Take realisiert wurden das Splitscreendrama „Timecode“, der experimentelle Historienfilm „Russian Ark“, das deutsche Drama „Victoria“ und „Utøya 22. Juli“. \
„1917“
GB/USA 2019 // R: Sam Mendes
Start: 16.1. | 119 Minuten | FSK noch offen
Bewertung der redaktion
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