Von Martin Schwarz
Am Anfang hängt eine tote Ratte an der Gartentür eines schmucken Einfamilienhauses am Rande einer westdeutschen Stadt. Direkt schrillen beim gebürtigen Kosovo-Albaner Xhafer (Mišel Maticevic) die Alarmglocken – all die kleinen und großen Ressentiments gegenüber ihm als Ausländer in Deutschland haben sich tief in seine Seele gegraben, und das trotz der liebenden deutschen Ehefrau Nora (Sandra Hüller), den drei wohlgeratenen Kindern und der qualifizierten Arbeit in einer Pharmafirma.
Insbesondere beim Job häufen sich die Probleme, sehr eindrücklich geschildert wird eine Büroversammlung, in der Xhafer wiederholt seinen Namen aussprechen muss, weil ihn die Chefs und Kollegen nicht verstehen. Und er ist sich sicher: Einer von ihnen ist für diese fiese, sich zudem wiederholende Rattennummer verantwortlich. Besonders Urs (Rainer Bock, „Das weiße Band“) scheint es auf ihn abgesehen zu haben; er legt ihm beruflich Steine in den Weg und ist ganz allgemein das glatte Gegenteil von kollegial. Aber auch von allen anderen Mitarbeitern fühlt sich Xhafer nicht anerkannt und immer mehr steigert er sich in einen verhängnisvollen Verfolgungswahn hinein.
Autor und Regisseur Visar Morina ist selbst im Kosovo geboren und lebt schon lange in Deutschland, er weiß also, wovon er erzählt. Sein Langfilmdebüt „Babai“ von 2015 berichtete von einer Flucht aus dem Kosovo nach Deutschland und räumte beim wichtigen Förderpreis Neues Deutsches Kino während des Filmfests München drei Preise ab. In „Exil“ findet Morina nun für den inneren Zustand seiner Hauptfigur die passenden klaustrophobischen Bilder: düsteres Haus, noch düsterere Büroräume. Das packende Drama über eine sich steigernde Identitätskrise steht und fällt mit dem Hauptdarsteller.
Und Mišel Maticevic ( sein Name wird „Mieschell Ma-Titschewitsch“ ausgesprochen) ist mit seinem reduzierten Spiel schlicht brillant als zutiefst verunsicherter Mann, der zur Kommunikation nicht fähig ist und zur Eifersucht neigt, obwohl er selbst seine Frau betrügt. Der in Berlin geborene Sohn von Kroaten hat bereits als Kind selbst Ablehnung durch Deutsche erfahren müssen: „In der Schule wurde mir in den 1970ern und 1980ern immer wieder gesagt, ich sei nur Gast in diesem Land und solle mich gefälligst benehmen.“ „Exil“ feierte im Januar seine Weltpremiere beim US-amerikanischen Sundance Filmfestival und lief dann erfolgreich in der Sektion Panorama der diesjährigen Berlinale.
„Exil“
D/B/KOS 2020 // R: Visar Morina
Start: 20.8. | 121 Minuten | FSK 12
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Mišel Maticevic
… wurde 1970 in West-Berlin geboren. Nach seinem Schauspielstudium an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg war er als Bühnendarsteller aktiv, aber auch in Haupt- und Nebenrollen in Kino und TV zu sehen, darunter in Werken von Caroline Link („Im Winter ein Jahr“), Hermine Huntgeburth („Effi Briest“), Dominik Graf („Im Angesicht des Verbrechens“), Philipp Leinemann („Wir waren Könige“) und Thomas Arslan („Im Schatten“). \
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