Hattet ihr schon länger geplant auch mal hinter der Bühne aktiv zu sein? Oder haben sich diese Projekte eher zufällig ergeben?
MELINA: Wir sind ja immer wieder – ich nenn es mal – ganzheitlich unterwegs! Zum Beispiel als wir den Jugendclub 18/19 leiteten, da waren wir Clubleitung und hatten die Verantwortung einer Stückentwicklung, bedeutet auch Bühne, Regie… Und Zufälle – die gibt es am Theater nicht! Für unsere Projekte haben wir richtig gekämpft und Glück gehabt, dass wir mit unseren Visionen auf offene Ohren gestoßen sind!
TOMMY: Ich habe seit langer Zeit gedacht „Mensch, das wäre doch mal was, nicht nur die Ideen des Gegenübers spielerisch umzusetzen, sondern meine inneren Geister mal komplett auf die Bühne zu stellen und ein ganzes Stück zu machen. Nachdem ich dann mit Melina vor anderthalb Jahren bei der Leitung vom Jugendclub tolle Erfahrungen gemacht habe, fühlte ich mich bestätigt, dass ich das wohl auch hinbekommen könnte.
Woher stammt die Idee zu dem jeweiligen Stück?
MELINA: Mein Dramaturg Kilian Ritter erzählte mir von seiner Arbeit über Ghost in the Shell. Also habe ich angefangen mich mit Cyborgs zu beschäftigen. Zufällig habe ich auf einem Konzert einen Musiker kennen gelernt, der am Modular-Synthesizer auflegt und plötzlich war klar: Ein Techno-Konzert einer Cyborg am Theater Aachen! Eine Cyborg ist ein Hybrid aus Mensch und Maschine, ein Techno-Musiker. Das Konzert auf der Theaterbühne selbst ist eine hybride Form. Inhaltlich wie formal versuchen wir auszubrechen und eine Utopie, fern von Stereotypen und binärer Sexualität zu zeichnen. Es ist uns in diesem Jahr mehr als je bewusst geworden, dass wir neue Geschichten auf der Theaterbühne erzählen müssen, die einer Gesellschaft entsprechen, in der wir leben wollen! Und das ist unser Versuch…
TOMMY: Mir fiel der Roman von Édouard Louis vor zwei oder drei Jahren in die Hände und ich dachte „Wow, wie kann das sein, dass ich meine, dabei gewesen zu sein?“ Ich fühlte mich zum ersten Mal von einem Autor wirklich verstanden. Auf vielen Ebenen. Dann hab ich der Dramaturgie hier den Stoff auf den Tisch gelegt und gesagt „Ich möchte das allein auf die Beine stellen!“.
Könnt ihr euer jeweiliges Stück in drei Sätzen beschreiben?
MELINA: Es ist viel einfacher die Apokalypse zu malen als das, was danach kommt. Wir wollen mit unserem kleinen Techno-Konzert Lust machen auf eine Zukunft, in der Mensch, Tier, Maschine zu einer neuen Familie zusammenwachsen und wir den nächsten evolutionären Schritt bereits gegangen sind. Also fette Beats, nice lyrics und Raum to reset your mind! Denn der Abend findet, ganz im Geiste der Internetsprache, auf Englisch statt (mit deutschen Untertiteln natürlich).
TOMMY: Bei „Das Ende von Eddy“ geht es um einen Jungen, der wegen seiner Andersartigkeit im dörflichen Frankreich sehr leiden muss, einfach weil er nicht in die Rollenbilder passt. Es geht in meinem Stück dann aber auch darum, wie und ob man seiner eigenen Geschichte entkommen kann. Und auf einer größeren Ebene eben auch um die Frage „Steckt nicht ein politisches System hinter dem, was ich als meine individuelle Unterdrückung erlebe?“
Bühne, Kostüm, Regie oder Schauspiel – wo habt ihr am längsten gefeilt?
MELINA: Um ehrlich zu sein, hat mich neben der Recherchephase die Organisation mit der Verwaltung und den Gewerken (Schlosserei, Schreinerei, Schneiderei, Kaschierwerkstatt, etc…) am meisten Zeit gekostet. Da arbeiten viele Menschen im Hintergrund zusammen, von Vertragsvereinbarungen über das richtige Weiß, mit dem der Tisch des Musikers gestrichen werden soll, bis hin zu aufwendigen Anproben. Viele Entscheidungen, die Zeit kosten. Jetzt muss ich schnell den Schritt von der Form zum Spiel schaffen!
TOMMY: Ich glaube der Regie-Tommy wird noch lange mit dem Spieler-Tommy im Clinch sein, damit der Spieler-Tommy dem Regie-Tommy vertraut. Und andersherum dasselbe. Der ganze Rest entstand aus Intuition in einem Augenblick, aus dem Bauch heraus.
Was war euer wichtigstes Arbeitsutensil? Worauf konntet ihr am wenigsten verzichten, wenn man plötzlich überall seine Augen und Ohren haben muss?
MELINA: WLAN, also mein iPad und mein Handy. Für Recherchezwecke, zur Kommunikation (der Musiker lebt zum Beispiel in der Schweiz), zur Aufzeichnung von Songs, für die Videoprojektion, für das Abspielen des morgendlichen Techno-Aufwärm-Sets!
TOMMY: Wie bei Bühne und Kostüm ist es auch hier die Intuition, das Limbische, das unabdingbar ist und das Vertrauen, dass die Verbindung zum Stoff groß genug ist, um daraus zu schöpfen, bei jedem neuen Versuch. Aber es gibt auch die Musik, die mich in die Geschichte setzt, die Lieder, die ich singen werde und meinen kleinen Fisch – das bleibt jetzt aber offen …
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