Von Kira Wirtz
Die Darsteller sind diejenigen am Theater, die der Zuschauer direkt wahrnimmt. Und auch die, die gerade zu Hause sitzen und nur wenig tun können. Im Zoom-Talk haben die Sänger Irina Popova und Fabio Lesuisse verraten, wie sie die letzten zehn Monate wahrgenommen haben, wie Corona ihre Sichtweise verändert hat und wo sie in der Pandemie eine Chance sehen.
Zoom-Konferenz morgens um 9 Uhr. Ich dachte, da schlafen alle Künstler noch?! Ihr beide wirkt frischer und munterer als ich!
Fabio: Soviel dazu, dass immer noch Leute sagen: „Ach, du bist Künstler, was machst du eigentlich tagsüber…?“ Nein, Spaß beiseite: Wenn die Arbeit auf der Bühne und während der Proben momentan auch brach liegt, ein Tagesablauf mit geregelten Zeiten ist enorm wichtig. Vor allem für die Seele.
Irina: Ja, es ist wichtig, sich eine Tagesstruktur zu schaffen. Das kann alles Mögliche sein, Hauptsache, man ist beschäftigt und kommt nicht ständig ins Grübeln. Und natürlich müssen wir als Sänger unseren Körper trainieren. Unsere Kondition muss beibehalten werden. Sonst können wir nach dem Lockdown unser normales Pensum nicht erfüllen.
Hättet ihr bei den ersten Corona-Meldungen aus Wuhan geglaubt, dass es so weit kommt?
Fabio: Ganz ehrlich, als die ersten Meldungen kamen, waren Irina und ich zusammen bei den „Sweeney Todd“-Proben. Und da haben wir noch rumgealbert. So nach dem Motto: „Jaja, das ist wie die Vogelgrippe damals. Riesen Welle und dann doch nichts. Und jetzt lasst uns mal weitermachen …“ Dann plötzlich war es nicht mehr lustig. Alles wurde auf Stopp gesetzt, wir wurden nach Hause geschickt, das Stück kam gar nicht mehr auf die Bühne.
Irina: Ich hatte von Anfang an ein mulmiges Gefühl. Aber wir haben im vergangenen Jahr immer versucht, das Beste draus zu machen. Plötzlich fühlten sich Generalproben wie Vorstellungen an. Natürlich war niemand im Publikum, aber das Beenden eines Projektes ist für uns als Darsteller extrem wichtig. Ich bin bei meiner letzten Probe von all diesen Gefühlen überrollt worden und mein Körper hat mit Tränen auf die Hilflosigkeit reagiert.
Im Spätsommer hatte man wieder das Gefühl, dass ein eingeschränkter Spielbetrieb möglich sein kann. Bis dann ein zweiter Lockdown unausweichlich war. Wie habt ihr darauf reagiert?
Fabio: Der zweite Lockdown war noch wesentlich herausfordernder. Die Naivität – alles wird wieder gut –, die man im Frühjahr hatte, war wie weggeblasen.
Irina: Ja, hat man im ersten Lockdown vielleicht gedacht: „Okay, gut, nutze ich die Zeit jetzt mal für mich“, war es beim zweiten Mal doch eine noch stärkere psychische Belastung. Man darf auch nicht vergessen, durch die täglichen Proben und Vorstellungen am Abend sind die Kollegen auch deine Freunde. Und jetzt gerade hat man zu all den Menschen, die sonst wie eine große Familie sind, einen unterstützen und aufbauen, keinen persönlichen Kontakt.
Bei all den negativen Dingen, die Corona mit sich bringt, wirkt ihr beide aber gelassen und positiv.
Irina: Naja, wir wissen, was es für einen Sänger bedeutet, krank zu werden. Früher waren wir die Hypochonder am Theater…
Fabio: Stimmt. Der Running Gag war immer: Wird es windig draußen, werden die Sänger krank…
Irina: Jetzt hören viele auf ihre Körper. Das ist wichtig, für uns vielleicht noch mehr als für andere. Außerdem hat Corona mir persönlich wieder bewiesen, wie flexibel Menschen sind. Und vielleicht sind wir Künstler sogar noch flexibler, weil wir es gewohnt sind, für jedes Stück in eine andere Rolle zu schlüpfen und in einem neuen Team zu arbeiten.
Fabio: Für mich ist es auch wichtig, Corona als Chance zu begreifen. Wir haben jetzt Zeit, zu schauen, wo neue Wege für die Kultur hinführen oder entstehen könnten.
So nach dem Motto: Wenn nicht jetzt, wann dann?
Fabio: Ja, genau. Da die Kultur so lange einfach lief, wurde wenig geändert. Jetzt stehen wir da, sind nicht systemrelevant, und doch können wir was tun. Es ist wichtig für das Standing der Kultur auf die Situation zu reagieren, nach alternativen Kunstformen zu suchen.
Irina: Natürlich sind wir keine Ärzte oder Bauarbeiter. Aber dennoch machen wir mit unserer Arbeit etwas für die gesamte Gesellschaft. Systemrelevat ist was anderes, das verstehe ich.
Fabio: Systemrelevant sind wir vielleicht nicht, aber ich sage gerne: wir sind seelenrelevant.
Irina: Das stimmt vollkommen! Und jetzt liegt es an uns, auch bei geschlossenen Häusern die Kultur im Gedächtnis zu behalten. Das macht uns stark!
Das war seit langem mein beschwinglichster Termin. Ich danke euch!
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