Alles dumme Gänse?
Schauspielerin Mona Creutzer hat sofort an diesen unbekannten Text von Wystan Hugh (W. H.) Auden gedacht, als sie vor Jahren die einstige Maschinenhalle des alten Tuchwerks am Strüverweg betrat. Das als Hörspiel konzipierte Stück „Aus dem Tal der Finsternis“ funktioniert Jahre später auch Open-Air in der Ruine vor der Maschinenhalle perfekt als One-Woman-Show, inszeniert von Eva Weißenböck. Darin mimt Creutzer eine hexenhafte Alte, die in ihrem Monolog all die großen Themen bespricht, die heute wohl genauso aktuell sind wie 1940, als Auden den Text verfasste.
Ihre Gesprächspartnerin: Nana, eine Gans. Zumindest, wenn man den Worten der Alten Glauben schenkt. Anders als im Hörspieltext vorgesehen ist in der Soundatmosphäre des Stücks schließlich kein Geschnatter zu hören, und es gibt nichts Sichtbares, das die tierische Gesprächspartnerin darstellen würde. Hier ist es also ein Stück weit dem Publikum überlassen, inwiefern es sich eine tatsächliche Gans vorstellen möchte oder doch eher der Figur eine gewisse Verrücktheit, Einbildungskraft und Einsamkeit zuspricht. Selbst aus ihren Worten wird das nicht klar: „Die Alte wird langsam verrückt, denkst du; nur Verrückte reden mit sich selbst“, sagt sie, während sie im Rücken des Publikums Wasser aus einem Brunnen unter der Ruine schöpft.
Creutzer durchbricht vierte Wand
Dieses ganzflächige Spiel, in dem Mona Creutzer nicht nur vor und hinter dem Publikum, sondern auch immer wieder um es herum spielt, verknüpft noch einmal mehr das Stück mit der Wirklichkeit. Einzeln und paarweise stehen Stühle auf den Kieselsteinen und Holzplanken, ihnen gegenüber die Kulisse aus Säule, Rohren und einem kleinen Backsteinbau. Creutzer nutzt in ihrem Spiel jedoch auch die vergitterten Fenster an der Seite, geht durchs Tor vorne aus der Ruine heraus und betritt sie von hinten durch die quietschende, nur schwer verschließbare Tür wieder. An einigen Stellen improvisiert sie, baut kleine Referenzen auf das Hier und Jetzt im Publikum ein. Die Kulisse samt sommerlichem Abendhimmel tut ihr übriges, die vierte Wand immer wieder zu durchbrechen.
Auch auf sprachlicher Ebene lässt sich eine aktuelle Verbindung herstellen. Der dichte lyrische Text macht deutlich: Es geht hier eigentlich nicht um eine alte Frau, die ihre Gans schlachtet, zumindest nicht nur. Überhaupt, die Gans. Sie wird im Text immer wieder vermenschlicht, wird ein Symbol für diejenigen, die in den Augen der Alten einfältig, nicht tugendhaft und gottlos sind. Eines der globalen Themen, die die Frau anspricht, ist die Freiheit. Sie versucht, Nana davon zu überzeugen, dass der Käfig für sie Freiheit bedeutet und sie es viel besser hat als all die Wildgänse, die sich eigenständig um ihr Futter kümmern müssen. Der Käfig schützt sie, ist jedoch gleichzeitig ihr Todesurteil. Sicherheit, bis es im entscheidenden Moment keine Möglichkeit gibt, zu fliehen. Und dann spricht sie von all den Menschen, die auch in ihren beleuchteten Käfigen sitzen, acht Stunden am Tag stupiden Aufgaben nachgehen und darin auch noch die pure Freiheit sehen.
Gegen Ende passiert ein harter Bruch. Die Frau – inzwischen hat sie ihren Blazer ausgezogen, über ihrem weißen, mit roten Spritzern versehenen Kleid trägt sie nun Schlachthauskluft – vollzieht eine Art Opferritus. Von welchem Vater sie dabei genau spricht, dem göttlichen oder ihrem eigenen, den sie so sehr verehrt, verschwimmt immer wieder. Ob sie die Todesangst der Gans in Worte fasst oder ihre eigene, ist nicht eindeutig. Und genau wie die Gefangenschaft im Käfig hat auch der Sonntagabend gleichzeitig etwas Sicheres und etwas Bedrohliches an sich, steht er doch für Ruhe und Gebetszeit und ebenso für das Lebensende der Gans. Die Frau zieht sich ihre Henkerskleidung aus. Ruhige Gitarrenmusik ertönt, und sie beginnt zu singen. Das, was sie kurz vorher schon gesagt hat, dieses Mal allerdings im englischen Original.
Info
„Aus dem Tal der Finsternis“ ist noch bis Ende Juli jeweils freitags und samstags im Theater K, Strüverweg 116, zu sehen. Beginn ist um 21 Uhr. Vor und nach der Vorstellung gibt es einen Getränkeverkauf. Ein Ticket kostet 18 Euro (13 ermäßigt).
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