Mit „Oppenhoff. Mohren. Cohn“ bringt das Theater Aachen ein Musiktheaterstück auf die Bühne, das in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich ist. Inspiriert von historischen Ereignissen und Figuren erzählt das Stück eine Geschichte über Fluchthilfe und Formen des Widerstands in Aachen. Die Stückentwicklung von Florian Fischer, Kerstin Grübmeyer und Malcolm Kemp setzt nicht nur auf eine fesselnde Handlung, sondern auch auf eigens komponierte Musik, die das Publikum berühren und zum Nachdenken anregen soll.
„Wir wollten, dass alles stimmig ist“, erklärt Malcolm Kemp, Schauspielmusiker am Theater Aachen, der die Musik für das Stück komponiert. Gemeinsam mit Regisseur Florian Fischer erarbeitete er Texte und Melodien, die sich eng an die Themen und Botschaften des Stücks anlehnen. Inspiration fanden die beiden unter anderem in der Sammlung „Yiddish Glory: The Lost Songs of World War II“ und bei Protest- und Widerstandsliedern – einige davon, wie das Partisanenlied „Sag nie, Du gehst den letzten Weg“ sind in den Abend eingeflossen.
Für andere Situationen sind eigene Lieder entstanden: „Mal gefiel uns der Text, dann die Musik, und für manche Themen wollten wir lieber etwas eigenes schaffen. Also entschieden wir uns, auch eigene Lieder zu schreiben.“ Diese Songs sind emotionalen Momenten der Figuren gewidmet – oder treiben die Handlung voran.
Die Musik bewegt sich dabei bewusst nicht im historischen Kontext. Stattdessen dominieren zeitgenössische Sounds zwischen Pop und Jazz, die eine emotionale Brücke zur Gegenwart schlagen. „Nach der letzten Probe hörte ich eine Produktionsassistentin eines der Lieder pfeifen. Da wusste ich, dass es funktioniert“, so Kemp. Die Band, die live auf der Bühne spielt, ist ein zentrales Element der Inszenierung, gehört aber nicht direkt zur Handlung. „Die Kollegen versuchen immer wieder, mich selbst auf die Bühne zu holen, aber ich bin Musiker, kein Schauspieler. So ist das besser“, meint Kemp augenzwinkernd.
Historische Vorbilder, aktuelle Themen
Das Musiktheaterstück ist inspiriert von den Lebensgeschichten historischer Personen, die auf unterschiedliche Weise Haltung zeigen oder Widerstand leisten – eine davon ist Franz Oppenhoff, der nach der Befreiung Aachens durch die Alliierten von der amerikanischen Militärregierung als Oberbürgermeister eingesetzt wurde – er war kein Mitglied in der NSDAP und hatte als Anwalt sowohl die Kirche als auch jüdische Mitbürger und Geschäfte gegen Angriffe der NS-Regierung vertreten. 1945 wurde Oppenhoff von einem SS-Mordkommando erschossen.
Eine weitere Figur ist die Widerstandskämpferin Marianne Cohn, die zahlreiche jüdische Kinder vor der Deportation rettete, bevor sie 1944 von den Nazis ermordet wurde. Der ebenfalls titelgebende Josef Mohren war Kommunist und Bergarbeiter, der die Nazizeit überlebte. Außerdem fließen die Biografie der Aachenerin Inge Protzner-Kaufmann und weitere historische Motive in den Abend ein. „Was motiviert Menschen dazu, sich einem gewalttätigen System zu widersetzen? Und wo scheitern sie auch oder zaudern und zögern? Und was können wir daraus lernen?“
Diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch das Musiktheaterstück. Es werden keine Heldengeschichten erzählt und auch keine historisch verbürgte Geschichte, sondern eine Handlung, die die Zuschauer zum Nachdenken anregt: „Was wäre gewesen, wenn…“ Oppenhoff beispielsweise kann nicht als „Widerstandskämpfer“ bezeichnet werden, aber seine Haltung als Anwalt und Christ motivierten ihn, sich dem System auf eigene Weise zu widersetzen – und dieser Spur folgt der Abend. Andere Figuren des Abends müssen abwägen, ob sie sich Widerstand zutrauen, auch wenn er sie selbst gefährdet.
In einer Zeit, in der rechtspopulistische Strömungen weltweit wieder an Zulauf gewinnen, ist die Auseinandersetzung mit antifaschistischem Widerstand aktueller denn je. „Es ist Zeit und Aufgabe des Theaters, hier Stellung zu beziehen“, betont Kemp. Das Musiktheaterstück versteht sich als Appell, den Mut nicht zu verlieren und gemeinsam stark zu sein. „Widerstand ist machbar – und zusammen können wir viel erreichen“, so der Musiker.
„Die Lieder sind alle auf Deutsch“, erklärt Kemp. „Das liegt auch daran, dass sie manchmal eine erklärende Funktion haben.“ Doch trotz der ernsten Themen bleibt die Inszenierung zugänglich: ohne erhobenen Zeigefinger, dafür mit viel Emotion und der klaren Botschaft, dass Solidarität auch über ideologische und gesellschaftliche Grenzen hinweg funktionieren kann.
„Oppenhoff. Mohren. Cohn“ ist Teil einer Spielzeit, die sich mit 200 Jahren Theater Aachen beschäftigt. Der historische Bezug zur Stadt wird besonders deutlich: Aachen war in den 1930er-Jahren ein „Tor in die Freiheit“, durch das viele Menschen vor der Verfolgung der Nazis flüchteten.
Mit seiner Mischung aus Musik, Schauspielszenen und der Erinnerung an historische Vorbilder zeigt das Musiktheaterstück, wie relevant die Themen Widerstand und Solidarität auch heute sind.
Ab 18.1.
„Oppenhoff. Mohren. Cohn“
Großes Haus, Theater Aachen
theateraachen.de
Das Team
Regie: Florian Fischer
Bühne: Katharina Pia Schütz
Kostüme: Marcus Karkhof
Musikalische Leitung: Malcolm Kemp
Licht: Dirk Sarach-Craig
Dramaturgie: Kerstin Grübmeyer
Piano/Keyboard: Gero Körner
Gitarren: Malcolm Kemp
Kontrabass: Johannes Vos
Schlagzeug: Samuel Reissen
WEITEREMPFEHLEN