Der junge Adolf Hitler ist nach Wien gekommen um als Künstler Karriere zu machen. Er zieht ins Männerwohnheim, weil er sich keine andere Bleibe leisten kann. Hitler fühlt sich seinen Zimmergenossen, Lobkowitz und Schlomo Herzl, überlegen, erträgt aber, dass sie ihn verspotten. Sie witzeln über das kleine Männchen mit den schlechten Manieren und über Hitlers Verstopfungsprobleme. George Taboris Hitler wird der Häme offen preisgegeben: In langer Unterhose mit falsch geknöpftem Jackett zieht Hitler zur Aufnahmeprüfung bei der Künstlerakademie. Und scheitert natürlich. Hitler scheint zunächst eine Witzfigur zu sein, entwickelt sich aber im Laufe des Stücks hin zur Moderne: Die Bürste wird abrasiert, er mutiert zum Ideologen im Kasinoton.
George Taboris Farce „Mein Kampf“ beleuchtet Hitlers grenzenlose Selbstüberschätzung, die zunächst als Humorvorlage funktioniert. Konsequent weitergedacht folgt auf den verkorksten Start in die Künstlerkarriere aber der Impuls für Hitlers Führer-Zukunft: Ausgerechnet der Jude Herzl muntert Hitler zum Gang in die Politik auf – wegen seines großen Redetalents.
„Dass die Balance zwischen Ernst und Farce gelingt, ist das Kunststück der Inszenierung.“ so Regisseurin Ewa Teilmans. „Ich denke, um den Ernst muss man sich bei dem Thema nicht erst bemühen. Und das Lachen ist für Tabori das adäquate Mittel, mit heftigen Themen umzugehen. Tabori selbst war Jude, der Scherz ist Mittel zum Zweck. Lachen befreit einerseits, andererseits steckt man so auch mitten drin im Thema.“ Hitlers Kampf ist hier auf der Bühne der eines verwöhnten Jünglings aus der Provinz, der seine Socken statt in den Wäschekorb in die Kaffeekanne stopft. Es ist die Komik der Situation und der Witz in den Dialogen, aus denen Tabori eine Farce strickt. Doch wenn Hitler von der „sauberen Lösung“ für den Juden Schlomo spricht, wenn er davon schwärmt, wie toll es wäre, alles Territorium der Erde an sich zu reißen, holt er den Zuschauer immer wieder zurück in den historischen Kontext.
Der junge Felix Strüven spielt das Männchen Hitler, schmächtig, geradezu zierlich, blass, sicher nicht mehr als 65 Kilo. Arrogant und hochmütig im Wechsel mit Unsicherheit und Naivität. In einem Moment lässt er sich von Schlomo rasieren und die Schuhe wienern, im nächsten stößt er ihn vor den Kopf: „Jude, ich danke für Deine Handreichungen.“ Immer mit gefrorener Mimik. Es ist Strüvens erste Rolle am Theater Aachen, ab der nächsten Saison gehört er zum festen Ensemble.
Mit seiner Farce brach Tabori seinerzeit alle Erwartungen, als er „Mein Kampf“ veröffentlichte. Und auch Ewa Teilmans hat vor, das Thema neu anzugehen. So lässt sie das Gretchen, das bei Tabori als nackte Blondine auf die Bühne kommt, von Oleg Zhukov verkörpern. „Eine nackte Blondine hat nicht mehr die Bedeutung wie noch in den späten Achtzigern. Das unschuldige Gretchen, das schon Tabori in seiner Goetheschen Sexmoral bricht, wird hier genderspezifiusch hinterfragt.“
Wie Menschen ihren Selbstwert mittels Macht definieren – diesen Mechanismus zeigt Tabori. Und zu welchem Grauen das bei Hitler geführt hat. Spannend wird sein, was Ewa Teilmans aus diesem Stoff macht, auf welche Ideen und Assoziationen sie setzt, und mit welchen Klischees sie sich auseinandersetzt
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