Es beginnt an der Gefängnispforte und es endet dort auch. Der von Alfred Döblin erzählte Irrlauf des Straftäters Franz Biberkopf, seine Entlassung, der Versuch seiner Rückkehr in ein normales Leben, sein erneutes Einfahren – und die nächste Entlassung, mit der das Stück im Theater Aachen schließlich endet. Oder beginnt? Eine Schleife, ein Entrinnen ist nicht möglich.
Denn schnell, quasi mit den ersten Sätzen, wird klar, dass der Protagonist in „Berlin Alexanderplatz“ sich von Anfang an nur etwas vormacht. Seine Unternehmung, die Menschwerdung eines Mörders, die würdige Integration in die Gesellschaft, scheitert an alldem, was man höhere Gewalt nennen könnte, wofür man die feindliche Haltung der redlichen Bürger verantwortlich machen könnte oder die verlockenden Gemeinheiten des Systems. Aber eigentlich, um es kurz zu machen: an Franz selbst. Denn er hat gar nicht die – wie sagt die Sozialpädagogik? – Ressourcen für einen Neuanfang.
Ewa Teilmans schafft es insofern auch nicht, den Theaterbesucher anhand ihrer Lesart des berühmten Romans zu überraschen. Ihr Konzept ist die Empörung mit dem Zaunpfahl. Sie lässt Torsten Borm von vorneherein mit Verlierer-Attitüde auflaufen, ein Franz, der fast zweieinhalb Stunden brüllt, selbst beim Flüstern, schnell außer sich, in Rage. Ein Kraftakt des Schauspielers, der in seinem gekonnten Biedermann-Strick, leicht reizbar, jammernd, eigentlich vielmehr Potenzial für ein differenziertes Spiel hätte.
Hineingeworfen in den Berliner Bodensatz, der sich ernährt im ewigen Kreislauf von sozialer Degradierung, Verbrechen und Unglück, versucht Franz es zunächst ehrlich. Begleitet von einem unappetitlichen Trio: dem Tod (Karsten Meyer), dem Satan (Thomas Hamm) und der Hure Babylon (Katja Zinsmeister). Sie bilden die inneren Kräfte ab, die Franz zerren bis zerreißen. Leider oft so überdeutlich gesetzt in triviale, absehbare Bilder, dass ihre toxische Wirkung in Franz’ Seele kaum zur Geltung kommt. Sie wirken wie Revue-Staffage – nur ein Beispiel: Der Satan in Stöckelschuhen, Glatze, Glanzanzug, eine Mischung aus Faun und Bordell-Clown, drückt sich aus durch Tänzeleien, die sicher nicht zu Thomas Hamms natürlichem Bewegungsrepertoire gehören.
Die wenigen leisen, schönen Bilder, etwa wie Franz sich seiner Mieze (Nadine Kiesewalter) nähert, wie zwischen ihnen was entsteht, das nicht in den Absturz-Kontext gehört, Liebe, diese Szenen leben.
Einen großen Eindruck hinterlässt die Arbeit der Theatergruppe der JVA Aachen, die „Biberköpfe“. Was Franz denkt, sprechen sie aus, sie sind seine Alter Egos. Und ihre Video-Einspielungen (produziert von Kai Gusseck und Jörg Müller) liefern eine Substanz, die der Inszenierung auf der Bühne gelegentlich fehlt. Die echte, normale und darin so bestürzende Physiognomie des Ausgestoßenen – schuldig, nicht schuldig, selbst Schuld, das ist egal. /// Lutz Bernhardt
6. und 20.5.
„Berlin Alexanderplatz“
19.30 Uhr, Bühne, Theater Aachen
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