Es sind unruhige Zeiten in Rom an jenem 17. Juni des Jahres 1800. Französische Revolutionstruppen hatten zwei Jahre zuvor die Römische Republik ausgerufen und den mit Österreich und Neapel verbündeten Papst nach Siena vertrieben. Nach der Rückeroberung Roms durch konservative, kirchentreue Kräfte ist man nicht gerade zimperlich mit den früheren republikanischen Machthabern. Politische Farbenbekenntnisse sind gefährlich und enden, nach erbarmungsloser Verfolgung durch die Schergen den neuen Regimes, häufig mit dem erzwungenen Ableben des politischen Gegners.
Kritik an Kirche und Staat
Soviel zu den historischen Tatsachen, welche die Rahmenhandlung von Puccinis Oper „Tosca“ darstellen. Die weitere Handlung ist Fiktion, bestehend aus den Ingredienzien Sex, Sadismus, Politik und Religion. Für Engels ein offensichtlich willkommener Anlass, Missbräuche und Korrumpierbarkeit in Kirche und Staat an den Pranger zu stellen – ein Versuch, der erkennbar vom Premierenpublikum nicht uneingeschränkt goutiert wird.
Korruption und Rachlust
Das Künstlerpaar, Maler Mario Cavaradossi und Sängerin Floria Tosca, lebt eigentlich nur für die Kunst und die Liebe, wie Tosca in ihrer berühmten Arie „vissi d’arte“ bekennt. Unfreiwillig gerät Mario wegen eines Freundschaftsdienstes für den politisch Verfolgten Angelotti in das Blickfeld des Polizeichefs Scarpia, eines korrupten und lüsternen Widerlings, dessen Handeln von Rachsucht und sexueller Begierde bestimmt wird. Die Klosterschülerinnen, welche ihm von kirchlichen Würdenträgern zugeführt werden, verschmäht er. Er liebt Toscas Reife und Weiblichkeit und erregt sich an ihren Tränen und ihrer Wut.
Gefährliches Machtspiel
Eifersucht ist die Schwäche der ansonsten berechnend handelnden Tosca. Geschickt nutzt Scarpia dies aus und stellt fest, dass das Gift, das von ihm geschürte Gerücht, schon seine Wirkung entfaltet („Già il veleno l’ha rosa!“). Zu spät erkennt Tosca die Konsequenzen. Da ist ihr Schicksal schon besiegelt. Obwohl es ihr gelingt, sich der drohenden sexuellen Erniedrigung durch Scarpia zu entziehen, indem sie ihm einen Dolch in den Leib rammt, geht ihre List nicht auf. Die Beteuerung Scarpias, er werde ihren Liebhaber Mario nur zum Schein hinrichten lassen, erweist sich ihrerseits als Schein. Aus einer imaginären Hinrichtung wird eine echte. Als Tosca dies erkennt, stürzt auch sie sich in den Tod. Scarpia, nicht Tosca, hielt die Fäden in der Hand.
Mutig und provokant
Die Aachener Inszenierung besticht neben dem in Tempi und Dynamik hervorragend eingestellten Orchester unter der Leitung von Kazem Abdullah durch wunderbare Stimmen der Protagonisten. Irina Popova als Tosca begeistert das Publikum ebenso wie der für den erkrankten Chris Lysack als Cavaradossi eingesprungene Adriano Graziani, der eine in jeder Hinsicht fulminante stimmliche und körperliche Präsenz auf der Bühne erkennen lässt. Auch der großartige Bariton Christian Tschelebiew in der Rolle des Scarpia erhält zu recht lang anhaltenden Beifall.
Die Inszenierung indessen polarisiert. Bei einem Teil des Publikums ist die Belastungsgrenze bereits beim „Te Deum“ im Ersten -Aktes erreicht, als ein plateau-besohlter Papst in einem paillettenbesetzten Phantasie-Ornat mit Reifrock und Wespentaille in einer Mischung aus Papamobil und Telefonzelle zum Abschluss der Prozession auf die Bühne geschoben wird. Und auch die deutlichen thematischen Bezüge zu Missbrauchsskandalen in der Kirche finden nicht den ungeteilten Zuspruch der Zuschauer. So kann der Schlussapplaus auch die deutlich verärgert wirkenden Buh-Rufer nicht übertönen.
Dennoch kann die Neuinszenierung von „Tosca“ insgesamt als sehr gelungen betrachtet werden. Publikumszuspruch und belebende Diskussionen haben die weiteren Aufführungen in jeder Hinsicht verdient. \ von Ulrich Herzog
4.10. 18 Uhr
10.10., 16.10., 22.10., 25.10. 19:30 Uhr
Bühne, Theater Aachen
WEITEREMPFEHLEN