Von Christina Rinkens
Ein Mietshaus in der Großstadt. Eine Freundschaft zweier grundsätzlich verschiedener Jungen. Ein Kidnapper, der Kinder „preisgünstig“ entführt. Regisseurin Lilli-Hannah Hoepner und Dramaturgin Gesa Lolling inszenieren „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ nach dem gleichnamigen Erfolgsjugendroman als modernes Stück mit Tiefgang.
„Ich habe ein Orientierungsvermögen wie eine besoffene Brieftaube in einem Schneesturm bei Windstärke Zwölf.“ Rico (Alexander Wanat) ist tiefbegabt. Er könne zwar sehr viel denken, das dauere aber einfach manchmal ein wenig länger. Und ab und zu entfallen ihm ein paar Dinge. „Wie in einer Bingotrommel.“ Aus diesem Grund ist seine Mutter (Franziska Arndt) mit ihm in die Dieffenbachstraße gezogen. Eine lange und gerade Straße. Auf der es für Rico fast unmöglich ist, sich zu verlaufen. Denn weil seine Mutter alleinerziehend ist und in einem Nachtclub arbeitet, ist Rico oft auf sich gestellt.
Im Mietshaus, in dem er mit seiner Mutter wohnt, kennt Rico alle Nachbarn. Frau Dahling (Doris Plenert), die Jane Fonda des Alltags, mit der er oft fernsieht und die ihm Schnittchen serviert. Marrak (Philipp Manuel Rothkopf), die stets grummelige “Sicherheitskraft“. „Stinketyp“ Fitzke (Benedikt Voellmy), der verwahrlost und einsam lebt und gerne in der Mülltonne nach Essbarem sucht. Neu im Haus ist außerdem die „scharfe Schnitte“ Westbühl (Tim Knapper), die auch promt beginnt, sich an Ricos Mutter ranzumachen.
Dann begegnet Rico Oskar. Oskar ist ein seltsames Bürschchen. Denn Oskar trägt einen Helm. Immer. Der hochbegabte Junge fürchtet sich vor Unfällen und damit vor so ziemlich allem. Tiefbegabt und hochbegabt also. Wie sich herausstellt, die perfekte Symbiose für eine Freundschaft. Mit Rico an seiner Seite fürchtet sich Oskar weniger. Rico hat mit Oskar jemanden, der ihm hilft, sich zurecht zu finden. Und beide sind nicht mehr so viel allein.
Beweisen muss sich die Freundschaft der beiden, als sie mit „Mister 2000“ konfrontiert werden. Der Kidnapper, der seit einiger Zeit in der Stadt sein Unwesen treibt, wird wegen seiner Masche auch der „Aldi-Kidnapper“ genannt. Denn als Forderung an die Eltern der entführten Kinder stellt er immer nur 2.000 Euro Lösegeld. Ein Schnäppchen also. Was steckt hinter dieser Masche?
Eine Frage, die Rico besonders beschäftigt, nachdem auch Oskar verschwindet. Rico muss entscheiden, wem er vertrauen kann: dem stinkenden Nachbarn Fitzke, dem aalglatten Polizisten Westbühl, dem brummigen Marrak? Und was hat es eigentlich mit den seltsamen Schatten im Hinterhaus auf sich?
Das Mietshaus ist ein kleiner Mikrokosmos. Auf der Bühne des Theater Aachen entsteht durch die geschickte Nutung der Drehbühne eine wunderbar detailreiche Darstellung des Mietshauses, das fast schon an ein Puppenhaus erinnert (Bühne und Kostüme: Iris Kraft). Die Wohnungen eines jeden Bewohners werden mit nur wenigen Quadratmeter großen Kuben dargestellt. Durch den geschickten Einsatz von Musik und Videosequenzen (Malcolm Kemp und Luca Fois) und dem Einsatz von Licht, kann sich das Bühnenbild auch geschickt in den Großstadtdschungel verwandeln, in dem sich Rico und Oskar zurechtfinden müssen.
So detailreich wie die Wohnungen, so tiefgehend sind auch die Bewohner. Beschönigt wird hier nichts, das gleicht schon einer Studie des heutigen Lebens in der Großstadt. Soziale Probleme werden nicht außen vor gelassen: Zerrüttete Familien, Armut, Krebs, Depression, Einsamkeit. All das ist Thema. Hinzu kommen die Kindesentführungen. Schwerer Stoff und dennoch verlassen die Kinder das Theater fröhlich mit einer Melodie auf den Lippen. Eine Gratwanderung. Die durch Inszenierung und sichtbar spielfreudige Darsteller gelingt. \
20., 21., 22.+23.2.
„Rico, Oskar und die Tieferschatten“
verschiedene Uhrzeiten, Bühne, Theater Aachen
KlenkesTicket im Kapuziner Karree
WEITEREMPFEHLEN