Jeder kennt wohl diesen einen. Mit der Jogginghose, mit den Pumpermuskeln, mit denen er zu früh am Tag ein Bier nach dem anderen stemmt, mit dem Großmaul, das steile Thesen posaunt, nach denen keiner fragt und doch niemand widersprechen mag, denn jeder sieht sofort, dass die Drähte zwischen Hirn und Faust in zu kurzen Leitungen stecken.
Normalerweise begegnet man ihm im Hausflur, wo man es dann eilig hat, oder zu dunkleren Stunden an Theken, wo man den Stumpfsinn selbst mit einem Bier betäuben kann – oder gehen. In der Severka, der Kneipe in der tschechischen Plattenbausiedlung geht das nur nicht, die steht nämlich eigentlich im Mörgens, wo man stocknüchtern den Weisheiten von Vandam (Tim Knapper) lauschen muss. Vandam schafft 200 Liegestützen am Stück, so etwas wie ein zu früh beschlossenes Lebenswerk, welches ihm erst den Spitznamen in Anlehnung an Jean Claude van Damme einbrachte, dann die eigentlich samtene Revolution 1989 einleitete, denn Vandams Faust traf genau in die Mitte des Universums, die Nasenpartie seines Gegenübers. Dann „Nase, Pfütze, Nase, Pfütze, der Geschmack von salziger Marmelade in der Kehle“ und nichts war mehr wie zuvor.
Seitdem haben sich die Fronten verschoben und Zeiten geändert. Alle, die mit dem Wandel nicht mithalten konnten, finden sich nun in der Severka wieder. Frieden ist immer noch nur die Pause zwischen den Kriegen, doch zumindest für Vandam findet der längst nicht mehr zwischen Nationen statt, sondern der Krieg ist universal geworden, zwischen Ideologien, Völkern und Geschlechtern. Für seine alkoholgeschwängerten Thesen sucht er immer wieder die Bestätigung im Publikum, die ein Ego wie Vandam gar nicht nötig hätte, die Schauspieler Tim Knapper aber so selbstgewiss einfordert, dass dem Zuschauer oft nur braves Nicken übrigbleibt, damit Vandams Blick endlich vorüber gehen möge. Für die kruderen Parolen findet er immerhin noch den Zuspruch seiner aus weiteren Wendeverlierern akquirierten Kneipenkollegen (unter anderem Benedikt Voellmy, Torsten Borm), die in sein „Heil Europa“ und „Frauen, die nicht schlucken, raus!“ einstimmen.
Der tschechiche Autor Jaroslav Rudis schrieb mit „Nationalstraße“ zwar eine eher bittere Verliererballade, die guckt aber nie von oben auf ihre Figuren herab. Stattdessen perlt sich aus dem Säufergeschwätz immer auch Sehnsucht nach einfacheren Wahrheiten und Zärtlichkeit heraus. Tim Knapper macht aus „Nationalstraße“ quasi ein Einmannstück. Der Rest sind seine Ja-Sager, wie auch das in Geiselhaft genommene Publikum, das über jeden Anflug von Komik dankbar lacht, um sich nicht allein mit ihm am Tresen fühlen zu müssen. \ tg
7., 16. + 20.12.
„Nationalstraße“
20 Uhr, Mörgens, Theater Aachen
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