Die posthume Kritik ist nicht sonderlich gut umgegangen mit Charles Gounod, dem französischen Komponisten, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum 200. Mal jährte. Theodor Adorno betrachtete seine Musik schlicht als „Kitsch“. Und auch ein Zeitgenosse wie Richard Wagner äußerte sich über seinen Berufskollegen alles andere als schmeichelhaft, wobei bezweifelt werden kann, ob er dessen Musik je gehört hat. Natürlich denkt man bei Gounod an seine bekannteste Komposition, eine Melodielinie zu Bachs C-dur-Präludium, welche sich als „Ave Maria“ auf zahlreichen Samplern für eine eher klassikferne Hörerschar wiederfindet.
Bisweilen wird Gounods Musik als zu angepasst empfunden. Zu seicht, zu lyrisch, zu geziert und zu französisch. Dennoch ist es gut und richtig, dass das Theater Aachen sich in diesem Gounod-Jahr mit Roméo et Juliette, der Mutter aller Liebestragödien, einem Bühnenwerk des Komponisten zugewandt hat. Die Oper hatte zu Lebzeiten Gounods großen Erfolg, um dann auf dem Altar der Moderne geopfert zu werden und in Vergessenheit zu geraten. Zu Unrecht, wie die vom Publikum mit großer Begeisterung aufgenommene Premiere am Theater Aachen beweist.
Die Handlung der Oper bleibt recht nah am Original Shakespeares. Anders als bei ihm, kommt es bei Gounod aber in der finalen Szene in der Gruft noch zu Liebesschwüren zwischen der aus der Narkose erwachten Juliette und dem armen Roméo, der das todberingende Gift schon intus hat. Und bei Shakespeare versöhnen sich die verfeindeten Häuser Capulet und Montague angesichts der Tragödie ihrer Kinder. Diesen Versöhnungsgedanken greift die Regie in der Aachener Inszenierung auf, indem sie den Prolog des Chores wiederholen lässt und an das Ende der Oper setzt. Somit erkauft, wie es im Libretto heißt, der Tod der Liebenden das Ende des Hasses ihrer Väter.
Regisseurin Ewa Teilmans, die regelmäßig am Theater Aachen inszeniert, hat zu dem figurenreichen Werk eine opulente Szenerie für die von Elisabeth Pedross gestaltete Drehbühne entworfen. Ein Stück Verona mit Anflügen aus besseren Tagen, an dem aber deutlich die Zähne der Zeit genagt haben und in dessen Pissecken der subversive Pater Lorenzo (wiederum mit großartigem Bass: Woong-jo Choi) herumlungert und sich um das Seelenheil prekärer Bevölkerungsgruppen kümmert. Die Regisseurin zieht viele Register und zaubert durch eine lebhafte Führung der zahlreichen Akteure, unterstützt durch eine farbenfrohe Kostümierung (Andreas Becker) sowie durch temperamentvolle Tanz- und Fechteinlagen (Choreographie: Hakan T. Aslan), ein kurzweiliges Spektakel aufs Podium.
Auch in musikalischer Hinsicht erlebt das Premierenpublikum einen bemerkenswerten Abend. Vor allem die eindrucksvollen Duette der beiden mit Larisa Akbari als Juliette und Alexey Sayapin als Roméo stimmlich und darstellerisch erstklassig besetzten Hauptrollen werden mehrfach auf offener Szene mit lang anhaltendem Beifall bedacht. Eine glückliche Hand beweist die Casting-Abteilung des Theaters bis in die Nebenrollen hinein. Ariana Lucas, noch am Premierentag für die erkrankte Julia Mintzer in der Rolle der Amme Gertrud aus Karlsruhe eingeflogen, überzeugte ebenso wie Tenor Soon-Wook Ka als Tybalt, der in Aachen bereits in Verdis „Forza del Destino“ aufhorchen ließ und nun mit einem scheinbar mühelosen Multitasking von Gesang und Tanzeinlagen Erstaunen hervorruft. Der Neuzugang der laufenden Spielzeit, die junge Französin Fanny Lustaud als Page Roméos, bezaubert erneut mit exquisitem Mezzo.
Eine Offenbarung ist das erstklassig intonierte Sinfonieorchester Aachen unter der Leitung von Christopher Ward. Freude an Dynamik hat der neue GMD offenkundig, das hat man bereits gehört. Akkuratesse besitzt er offensichtlich auch, denn das, was da aus dem Graben steigt, ist handwerklich exzellent und Romantik pur mit feinstem französischen Federstrich.
Lang anhaltender Jubel des Publikums belohnt eine erstklassige Inszenierung. \ uh
13., 20.+25.1.
„Roméo et Juliette“
verschiedene Uhrzeiten,
Bühne, Theater Aachen
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