Inge Zeppenfeld: Nach Arthur Millers „Alle meine Söhne“ und Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ jetzt Ödön von Horváths „Kasimir und Karoline“. Was macht den Reiz aus, diese Liebesgeschichte aus der Weltwirtschaftskrise auf die Bühne zu bringen?
Michael Helle: Es ist der immer gleiche Reiz, in einem Probenprozess eine Geschichte aus der Vergangenheit für die Gegenwart zu überprüfen – egal ob aus der Antike, dem Sturm und Drang oder aus dem letzten Jahrhundert. Die Aufgabe ist doch, aus der gesellschaftlichen, politischen und sozialen Situation in Deutschland der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts und der privaten Schicksale der Figuren die Schnittstelle zu finden, die das Verhalten und Handeln für uns nachvollziehbar oder befremdlich zeigen. Unsere wirtschaftliche Situation unterscheidet sich wesentlich von der Zeit der Weltwirtschaftskrise. Und dennoch gibt es heute wieder Ängste vor dem sozialen Abstieg, die stark im privaten Leben Niederschlag finden, gibt es Verlierer, Zurückgelassene. Und die Hoffnung, nicht zu denen zu gehören.
Das Stück von 1932 spielt auf dem Oktoberfest, welche Atmosphäre erwartet den Zuschauer in der Inszenierung?
Das Oktoberfest ist nicht das Thema des Stückes! Es ist ein Ort der Begegnung, ein Platz, auf dem sich Menschen begegnen, die alle ihre Zerstreuung, ihr Vergnügen, ihr Glück suchen. Und nur auf Illusionen treffen. Angestellte, Arbeitslose, Kleinbürger, Kapitalisten, Kleinganoven, Entwurzelte. Alle wollen mal für einen Nachmittag die Sau rauslassen. Dieser Jahrmarkt ist ein Markt, auf dem nicht nur mit Schweinswürsteln und Bier, sondern vor allem mit Vergnügungen, Gier, echten und falschen Gefühlen, Sex, Liebe, was auch immer sie für die Menschen bedeutet, gehandelt wird. Liebe und Hass treffen hier ebenso aufeinander wie Hoffnung und Enttäuschung, wie Humor und Traurigkeit. Horváth selbst nennt sein Stück „eine Ballade von stiller Trauer, gemildert durch Humor“.
Horváth bezeichnet sein Stück als „Volksstück“. Was bedeutet das heute?
Horváth zerstörte das traditionelle Volksstück wissentlich, um einen neuen Typus zu schaffen. Weg vom Milieu, weg vom regionalen Dialekt, weg vom Pittoresken, weg vom Leichtkonsumierbaren. Hin zum Direkten. Zum gesellschaftlich Relevanten. Das Motto, das er „Geschichten aus dem Wiener Wald“ voranstellt – „Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit“ – gefällt mir.
Was für ein Paar sind die Titelfiguren Kasimir und Karoline?
Kasimir ist ein arbeitsloser Chauffeur, Karoline, seine Braut, eine Angestellte. Karoline will sich auf dem Oktoberfest amüsieren, Kasimir ist überzeugt, dass die Liebe zu einem arbeitslosen Mann automatisch nachlässt. Karoline ist nicht bereit, sich auf Kasimirs pessimistische Stimmung einzustellen, sie will ihren Spaß, versteht sein Verhalten als egoistisch. Die Beziehung kommt dann sehr schnell ins Rutschen …
Karoline sagt am Ende: „Man hat so eine Sehnsucht in sich“. Welche Bedeutung haben die Sehnsucht und auch die in den Regieanweisungen des Stücks immer wieder anberaumte Stille?
Das Motto des Stücks könnte auch für alle Figuren heißen: „Wohin mit unserer Sehnsucht?“ Die Sehnsucht der Figuren erfüllt sich nicht. Sie bleibt eine Illusion. Das erfährt vor allem Karoline sehr bitter. Die Sehnsucht, mit dem Zeppelin zu fliegen, abzuheben, oder wenigstens in einem Kabriolett dem Alltag zu entfliehen, in eine bessere Welt, erfüllt sich nicht. Mit gebrochenen Flügeln stürzt sie auf den harten Boden der Realität zurück. Kasimirs bitteres Resümee: „Träume sind Schäume“. Oh Gott, diese „Stille“ wird im Dialog nicht weniger als 121 mal gefordert. In dieser Stille, so meint Horváth, kämpfen Bewusstsein und Unterbewusstsein gegeneinander. Was das bedeutet und wie sich das äußert … ? Wir suchen auf den Proben.
„… und die Liebe höret nimmer auf“ heißt es bei Horváth. Hört sie tatsächlich nicht auf, oder bleibt es eine ironische Anmerkung?
Ich weiß gar nicht, ob das eine ironische Anmerkung ist. Oder ein böses Omen. Es ist ein merkwürdig Ding um die Liebe in Horváths Stücken. Oskar aus „Geschichten aus dem Wiener Wald“ droht Marianne: „… du wirst meiner Liebe nicht entgehn.“ Und ich weiß auch nicht, ob unser Abend diese Frage beantworten sollte. Nein, die Antwort sollte offen bleiben. Aber das Thema dieses Stückes ist und bleibt die Liebe! \
Zum Stück
Ödön von Horváth beschreibt in „Kasimir und Karoline“ eine Gesellschaft, in der vor der Folie oberflächlicher Amu?sierwut und eingebettet in ein Klima des nationalen Denkens und der rechten Gesinnung die „Abgehängten“, die sozialen „Verlierer“, die „ins Abseits Gestellten“ den harten Kampf von bedingungslosem Aufstiegswillen und alles u?berschattender Abstiegsangst austragen. \
11.,18.+26.5.
„Kasimir und Karoline“
verschiedene Uhrzeiten, Bühne, Theater Aachen
KlenkesTicket im Kapuziner Karree
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