Am Ende der Revolte sind alle bürgerlichen Zwänge überwunden. Es herrscht die totale Konventionslosigkeit. Wo heutzutage stolze Patrioten bereits vor gendergerechter Sprache schlottern, hat Slawomir Mro`zek schon in den 70ern den wahren Albtraum aller Konservativer entworfen: Die gut behängten Hippies haben gewonnen und feiern die freie Liebe und sich selbst. Revoluzzer ist nunmehr, wer Seitenscheitel und gebügeltes Hemd trägt und einer ehrbaren Tätigkeit nachgehen möchte, wie Arthur (Julian Koechlin), der eigentlich nur Arzt werden will und dafür von seinen Eltern Struktur und Grenzen einfordert, bei seiner dauerkopulierenden Verwandtschaft aber immer nur auf taube Ohren und stöhnende Münder trifft. Da muss man sich als weißes Schaf der Familie zwangsläufig radikalisieren und der Monogamie notfalls mit Waffengewalt zu einer Renaissance verhelfen… Ganz nah am Zeitgeist ist Slawomir Mro`zek Werk freilich nicht. In Anbetracht sich weltweit erstarkender konservativer Lager sitzt das realistischere Grauen immer noch im Biedermeier bei sonntäglichem Kaffee und Kuchen am Familientisch. Vielleicht auch deswegen wurde die Groteske von Regisseur Christian von Treskow noch einmal verzerrt und auf 11 gedreht. Statt in einem Familiensalon spielt diese Umsetzung gleich zwischen hölzernen Saunabänken, auf denen amorphe Nacktwesen irgendwo zwischen Seekuh und Mensch die Pimmel propellern lassen. Die Entscheidung, die Schauspieler für diese Zwecke in Ganzkörperanzüge zu stecken, wird so in vielerlei Hinsicht, vielleicht auch der Corona-Schutzmaßnahmen verschuldet, nachvollziehbar. Gleichzeitig machen die gepolsterten Nacktrüstungen ein Mienenspiel kaum möglich. Die Wortwechsel laufen ausschließlich über Playback ab, auf das die Darsteller absichtlich bis unabsichtlich, mal mehr mal weniger synchron reagieren. Das alles intendiert einen Verfremdungseffekt, der sich im Laufe des zweistündigen Theaterstücks über den Moment hinaus etwas abnutzt. Wenn Thomas Hamm als Familienoberhaupt auf der Bühne ein Riesenglied bearbeitet, während die übrigen Darsteller mit fischmäuliger Mimik zur Synchronspur spielen, ist das grotesk abseits der Groteske. Am Ende lassen die Darsteller ihre Masken (und nur die) fallen, um sich ihren verdienten Applaus für zwei Stunden Spielerlebnis abzuholen. \ kira wirtz
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