Oper im Theater Aachen. Im Saal wird es dunkel, das Orchester spielt auf. Und schon bei den ersten Klängen steht fest: Es wird beschwingt. Klar, viele Stücke aus Georges Bizets „Carmen“ sind bekannt und gehen direkt ins Ohr. Mathis Groß dirigiert das Orchester sicher durch vier Akte, es spielt beherzt und beschwingt auf bis zum Finale. Auch die Inszenierung wirkt an richtiger Stelle frisch, unbekümmert und modern, ohne die Ernsthaftigkeit der Sache – den Kampf um die Freiheit – aus den Augen zu lassen. Das Bühnenbild ebenfalls eindrucksvoll, irgendwo zwischen miefiger Plattenbau-Ödnis und – dank modularem System – angesagtem Hinterhof-Gangstercharme. Hohe Metallgerüste ragen bis unter den Theaterhimmel, Treppen von oben bis unten, mal Laufhaus, mal Zigarettenfabrik, mal Knast. Nebelschwaden ziehen vorbei, geben den Blick frei auf die Darsteller. Allen voran Fanny Lustaud als rothaarige Carmen, in Crop-Top und Lederrock, die nicht nur mit ihrer Stimme, sondern auch mit ihrem Schauspiel besticht.
In Astigarragas Inszenierung (ist) wird Carmen auch durch die Besetzung mit Lustaud viel mehr als ein männermordender Vamp. Sie ist eine selbstbestimmte, freiheits- und freundeliebende Frau, die ihre Meinung einfach auch mal ändern kann und die ihre Bedürfnisse über die der anderen stellt. Ursprünglich war sie wohl ihrer Zeit voraus. Astigarraga holt sie ins Jetzt und prangert an: An der Rolle der Frau, mag diese auch noch so modern sein, mögen ihre Freundinnen noch so trinkfest, partygeil, raffiniert, modern und genderneutral wie möglich sein, seit der Uraufführung 1875 hat sich an der Frauenrolle doch nichts geändert. Ein brisantes Thema, wunderbar verpackt und das auch optisch von Annemarie Bullas Kostümabteilung.
Am Ende überschlägt sich das Publikum – vollkommen zurecht – mit Bravo-Rufen und Standing-Ovations. In der Inszenierung hat nichts gefehlt: Es wird lustig, wenn die Kinder es schaffen, den Kippenautomat zu knacken oder Carmens kleine Lady-Gang samt Trans-Freundin Mercedes (Ziqi Huang) ihre Privatparty im Hinterhof steigen lassen. Es ist beklemmend, wenn Carmen von allen weiblichen Arbeiterinnen der Tabakfabrik geächtet und von den Männern absichtlich missverstanden wird. Es geht heiß her, wenn Escamillo (Csaba Kotlar) mit donnernder Stimme verlauten lässt, wer der neue sexiest-man-in-town ist und es wird tief ergreifend, wenn Michaela (Anne Aurore Cochet) ihrer verlorenen Liebe Don José (Soon-Wook Ka) hinterher weint.
Die ganzeInszenierung ist schlüssig, jung und macht Lust auf mehr. \ kw
3., 10., 25. (18 Uhr), 29.12., 8., 20., 26.1
„Carmen“
19.30 Uhr, Theater Aachen
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