Zwei ungleiche Brüder, die Ehefrau und zwei Kinder des einen sowie die neue Freundin des anderen unternehmen gemeinsam eine teure Fernreise nach Japan, die der ältere Bruder großzügig bezahlt. Ein angemietetes Appartement in Tokio an der wahrscheinlich meistfrequentierten Straßenkreuzung der Welt ist der Schauplatz des bereits 2019 uraufgeführten Stücks des Autoren Nis-Momme Stockmann. In den kommenden eindreiviertel Stunden wird der Theaterzuschauer Zeuge, wie eine Familie weniger am fernöstlichen Kulturschock als vielmehr an den unterschiedlichen Klassenzugehörigkeiten zerbricht. Falk (Thomas Hamm) ist Philosophie-Professor und gewohnt, dass alle die Welt durch seine schlaue Brille mit bestaunen dürfen. Sein Kulturbegriff ist durch seine Seminararbeiten in japanischer Ästhetik und Philosophie scheinbar unantastbar. Der Besuch von Dutzenden buddhistischer Tempel und Schreine als Weltkulturerbe in Kyoto ist für ihn gesetztes Programm. Ersten Widerstand gibt es von Matzes (Philipp Manuel Rothkopf) neuer Freundin, der Bäckereifachverkäuferin Maja (Tina Schorcht), die den Tag lieber mit Matze für einen Besuch des größten Mediamarktes der Welt nutzen möchte. Dies führt zu ersten Spannungen in der Familie, die Falk plötzlich nur noch als ,Gruppe‘ definiert sehen möchte. Thomas Hamm spielt den dozierenden, anfangs schlagfertigen Falk mit dominanter Arroganz. Seine Rededuelle mit der neu in die Familie/Gruppe gekommenen Maja macht das virtuose Stück zu einem intellektuellen Vergnügen – durchaus mit dramaturgischer Nähe zu den Stücken einer Yasmina Reza. „Das habe ich so nicht gesagt (gemeint)“ ist einer der typischen Sätze, die den Dialogkrieg von Falk und Maja in immer weitere Höhen schrauben. Der jüngere und finanziell deutlich weniger betuchte Bruder Matze ist entscheidungsschwach und versucht es vergeblich beiden Kombattanten Recht zu machen. Auch Falks Ehefrau Adriana (Petya Alabozova) ist nur ein Spielball in dessen Händen. Maja gewinnt im Laufe des Abends das Spiel und lässt alle hinter Falks Fassade schauen. Ein gelungener Kniff des Autoren ist der Einbezug der beiden Kinder Ignaz und Ismael. Moritz Peters lässt sie in seiner ersten Inszenierung am Theater Aachen fast wie Geister erscheinen: In Seuchenschutzanzügen steckend und hinter dunklen Brillengläsern anonymisiert, sind sie auf- und abtauchende Kommentatoren des Geschehens – altklug, gebildet und in ihrer vernichtenden Arroganz gegenüber der neuen Freundin des Onkels kleine Abziehbilder ihres Vaters. Auch das Bühnenbild von Irina Spreckelmeyer gebührt lobende Erwähnung: Weiße, von der Decke herabhängende Stoffbahnen dienen als Projektionsfläche für gefilmtes Straßenleben in Tokio, durch das Falk und Adriana am Anfang des Stücks auf der Suche nach Sushi streifen. Mit dem Bühnenboden wird auf die berühmteste Tanzfläche der Welt aus „Saturday Night Fever“ angespielt. Anfangs wird auf den Lärm der unter dem Apartment liegenden Karaoke-Bar noch ausgelassen getanzt – am Ende liegt die Welt einer Familie in Scherben. \rm
8., 12., 22. + 28.10.
„Das Imperium des Schönen“
20 Uhr, Kammer, Theater Aachen
Hier geht es zur Website des Theater Aachens
WEITEREMPFEHLEN