Alles ist weiß, clean, fast steril. Nichts steht herum, sogar die Fernbedienung für den Fernseher, das einzig schwarze Element im Raum, ist in einer Schublade versteckt. Hier leben Bruno (Dirk Witthun) und Sonja (Daniela Zähl). Sie mit perfektem Haar und Louis Vuitton-Tasche, er in Kaschmir-Pulli und sofort auffälliger Überheblichkeit. Bereits in den ersten Dialogen macht er sich mit Großspurigkeit und Macho-Gebären größer als er ist. Als der Wein geöffnet ist, brummt ein Telefon. Und dann passiert es: Mit ihnen wird Schluss gemacht. Per Whatsapp nach 17 Jahren Freundschaft mit Eric und Jana. Ohne Erklärung. Sie kann es nicht fassen, sucht die Schuld bei sich. Er fühlt sich sofort angegriffen und sucht die Schuld bei den anderen. Bis dahin ist es zumeist lustig, wenn man es auf die „Typisch männlich, typisch weiblich“-Art betrachtet. Er schaukelt sich immer weiter hoch, trinkt gierig Wein, schiebt erst die Schuld auf Erics und Janas Sohn („Den konnte ich nie leiden“), dann auf Jana („Weil es ihre Schuld sein muss“) und äfft sie nach. Sie sitzt ruhig am Tisch, geht vergangene Gespräche durch. Doch irgendwie will die zwischenmenschliche Stimmung nicht ganz rüberkommen. Es ist schwer vorstellbar, dass bei solchen Leuten auf diese Art gestritten wird. Ohne Zweifel, die Dialoge sind clever geschrieben, jeder im Publikum hat den ein oder anderen Satz selbst schon gehört oder gar gesagt, aber die Chemie zwischen dem Paar will manchmal einfach nicht stimmen. Dennoch: Beide Schauspieler wechseln sich einen wunderbaren Schlagabtausch ab, nehmen das Publikum mit in ihre Ehe, blättern in immer tieferen Wahrheiten ihrer Freundschaft. Irgendwann wird dann ein Thema angesprochen, dass es in Me-too-Zeiten beklemmend macht. Szenenwechsel: Mit wenigen Handgriffen wird das Bühnenbild zu Eriks und Janas Wohnung. Diesen beiden als Verursacher der Krise geht es nicht viel besser. Beide Darsteller spielen mit gutem Timing, schneller Zunge und vollem Einsatz, aber auch hier fragt man sich, was dieses Paar so lange Jahre zusammengehalten hat. Eric (Stephan Weigelin) ist ein eifersüchtiger und überaus impulsiver Mann, während Jana (Anne Bontemps) besonnen und ruheliebend zu sein scheint. Aber auch hier: Bei allen Signalworten, die fallen, verstehen sich die beiden falsch. Nach und nach stellt sich heraus, dass Jana sich als Opfer eines Machtmissbrauchs durch Bruno und seiner Kollegen fühlt. Bruno, der diese Geschichte aus einer anderen Perspektive erzählte, bewertet die Situation natürlich anders, Sonja und Erik feilen noch an ihren Perspektiven. Und über allem schwebt die Me-Too-Debatte. Begann das Stück als leichte Boulevardkomödie, wird der Stoff schnell schwer. Die Lacher aus dem Publikum werden leiser, dem ein oder anderen schwant, dass ein Lacher gut überlegt sein sollte. Und das ist die Schwierigkeit, die die Inszenierung schaffen muss: Ein schweres Thema aufzuarbeiten, dabei den Humor aber nicht auf der Strecke zu lassen. Das gelingt auch dank der schauspielerischen Leistung und der guten Besetzung der einzelnen Rollen, auch wenn diese nicht in jeder Situation miteinander harmonierten. \kw
1.-31.10.
„Die Wahrheiten“
20 Uhr, diverse Orte
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