Fieses Fiepen ertönt aus Lautsprechern, Möwen kreischen, Wellen rauschen. An die Wand hinter der Bühne wird eine Videoinstallation geworfen. Dort tost das Meer, die Wellen überschlagen sich. Auf der Bühne liegt Strandgut, Müll aus Plastik, Kanister, Netze, Algen, Koffer, Baumstümpfe. All das, was das Meer wütend ausgespuckt hat. All das was von einer Zivilisation übrig geblieben ist. Zwischen all dem Dreck bibbern, wüten, leiden vier Personen. Es sieht aus, als wären sie gerade gestrandet. In einen Schlafsack eingerollt liegt Falk Philipp Pognan, in eine rote Decke gehüllt kauert Mona Creutzer, auf einem klapprigen Kanister hockt Martin Päthel und in einem dünnen, schwarzen Glitzerkleidchen entwirrt Paula Luy ein Fischernetz. Und fragt man sich gerade noch, was diese vier an einen Strand gespült hat, da startet das epische Theaterstück. Die Darsteller sprechen Phrasen, mal einzeln, mal zu zweit, mal alle gemeinsam. Es ist Medeas Geschichte. Luy beginnt sie: „Mein Name Medea, mein Name Gift, mein Name Verrat.“ Aber es ist nicht einfach nur „Medea“, es ist „Verkommenes Ufer – Medeamaterial-Landschaft mit Argonauten“ von Heiner Müller. Klingt kompliziert. Und das ist es auch. Denn das antike Stück „Medea“ über eine der wohl kontroversesten Frauen der Antike wird hier zu einer Montage, in der sich Altes mit Modernem vermischt, und das mehrfache Ich die Katastrophen der Menschheit im Voraus erlebt. Medea ist Priesterin, Königstochter, Liebende und letztlich Mordende. Sie stiehlt gemeinsam mit Jason das goldene Vlies und wird doch später von ihm betrogen und schwört unerbittliche Rache. Betrug an Mensch und Menschheit werden dadurch zum zentralen Thema. Adaptionen des Mythos von Jason und Medea ziehen sich durch die Jahrhunderte der Literaturgeschichte. Angefangen bei Euripides bis zur Bearbeitung Heiner Müllers. Mal ist sie die mordende Mutter, mal die mythologische Zauberin, die betrogene Frau oder alles auf einmal. Emanzipiert ist diese Medea. Ihre Rache gewaltig, aber nicht gänzlich unverständlich. Sympathisch macht sie das allerdings nicht. Zum Nachdenken anregen, das schafft sie. Das Premierenpublikum war begeistert. Am Ende wird gejubelt, das Ensemble scheint glücklich, dass „Medea“ so gut angekommen ist. Wenn es auch inhaltlich schwerer Stoff war, war das Spiel befreiend. Jeder hat seinen Auftritt, jeder seine Art. Luy tänzelt, stößt eher stumme Schreie aus, Pognan macht es mit moderner Kraft eines liebeskranken jungen Mannes, Creutzer wirkt wild und unberechenbar, Päthel punktet mit innerer Wut und kraftvoller Stimme. Das Ganze wurde eingefasst von den Kompositionen der Musikerin Sonja Mischor, die live neben der Bühne unterschiedlichste Instrumente nutze und den Videoprojektionen der Künstlerin Loni Liebermann. Alles in allem eine sehenswerte Inszenierung in passender Kulisse (unbedingt eine warme Jacke anziehen).\kw
1., 2., 14., 15.+16.10.
„Medea – Verkommenes Ufer – Medeamaterial-Landschaft mit Argonauten“
20 Uhr, Theater K (Tuchwerk Aachen)
Hier geht es zur Website des Theater K
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