Man kann es nicht nur aufs Pony schieben!
Bunt ist es. Orange und grüne Stühle, lila Schul- und blaue Sportbänke, Sprossenwände in gelb und grün. Die Bühne der Kammer sprüht über von Regenbogenfarben. Und von Schule. Eigentlich ein schönes Bild. So sollte es in den Klassen- und Turnzimmern der Welt aussehen. Divers sollte es sein. Queer. Tolerant. Worte, die oft gehört werden. Worte, bei denen man eigentlich denkt: Bin ich alles! Aber wenn es plötzlich das eigene Leben betrifft stoßen in „My Little Pony“ Eltern, Kind und System an ihre Grenzen. Eva Offergeld zeigt mit ihrem Regiedebüt ein Händchen für moralische Fragen und lässt die beiden Darsteller des Kammerstücks von Paco Bezerra eine Gefühlsachterbahn deluxe durchlaufen.
Angefangen hat es so simpel: Luis, zehn Jahre, möchte mit einem Rucksack, auf dem eine „My little Pony“-Figur aus der gleichnamigen Kinder-Animationsserie aufgedruckt ist, zur Schule gehen. So weit so gut. Was die Eltern nicht wissen: Luis ist auf der Suche nach sich, seiner Sexualität und Individualität. Was die Eltern noch nicht wissen: Die anderen Kinder sind nicht tolerant und offen für Diversität. Und was die Eltern vor allem noch nicht wissen: Die Schule als System ist es schon gar nicht. Der Zuschauer lernt Luis nicht kennen. Von seinen Eltern erfährt man, was sich wieder abgespielt hat, wie es soweit kommen konnte, wie man es zu verhindern versucht, darüber in schrecklichen Streit gerät und es dann auch noch schlimmer macht, als es vorher war. Die Eltern entfernen sich im Willen, ihr Kind zu schützen, voneinander und noch viel weiter von ihrem Sohn. Fast lethargisch wirkt Benedikt Voellmey als Vater, der zwar liebt, aber in seiner Beschützerrolle versagt. Und dann wechselt er in die konträre Gefühlslage, wirkt fast hyperaktiv, wenn er für mehr Individualität seines Kindes kämpfen will. Luana Bellinghausen als Mutter, die sich kümmert, organisiert, ebenfalls alles richtig machen will, ist zu Beginn straighter, will den Unglücksauslöser einfach wegwerfen. Aber auch das wird ihr Problem nicht lösen.
Wie Gefangene in Luis’ Mobbing-Umgebung sind die beiden Erwachsenen. Befreien können sie sich scheinbar nur mit der perfekten Lösung des Problems. Aber was ist das Problem? Dass ein Kind in eine Fantasiewelt flüchtet? Dass „Normal-Sein“ für wichtiger gehalten wird, als alle zugeben wollen? Wie will man etwas lösen, wenn man das Problem nicht kennt. Und warum sollte etwas gelöst werden, was eigentlich kein Problem sein sollte? kw
„My little Pony“
20 Uhr, Kammer, Theater Aachen
WEITEREMPFEHLEN