Von Ulrich Herzog
Die Arbeitsmarktsituation für Philosophen ist häufig etwas angespannt. Zumindest wird Angehörigen dieser Zunft bis ins fortgeschrittene Alter eine gewisse Flexibilität bei der Berufswahl abverlangt. Somit ist es nicht ganz fernliegend, wenn in Ute M. Engelhardts aktueller Inszenierung von Mozarts Oper „Così fan tutte“ am Theater Aachen sich der Philosoph Don Alfonso als Portier eines heruntergekommenen ehemaligen Grand Hotels verdingen muss. Die Szenerie wird von der Regisseurin in einem Kriegsgebiet verortet. Die Trümmer, die das Hotel umgeben, werden damit gleichsam zum Sinnbild ihrer ruinösen Beziehungen, vor denen vier junge Leute am Ende stehen.
Dabei war am Anfang doch alles so harmonisch – bis zu dieser perfiden, kaltblütigen Wette. Fiordiligi und Dorabella, zwei Schwestern, sind bis über die Ohren in Guglielmo und Ferrando verliebt. Sogar für einsame Stunden besitzen sie Miniaturen ihrer Liebhaber aus dem 3-D-Drucker im Ken-Format – ein netter Regieeinfall. Und auch ihre Verlobten können sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen, dass die Mädels ihnen je untreu werden könnten. Und dann kommt Alfonso mit seiner Wette um die Ecke und schlägt den Kerlen ein Experiment vor: Unter dem Vorwand, in den Krieg ziehen zu müssen, sollen sie sich von ihren Angebeteten verabschieden. Während ihrer vermeintlichen Abwesenheit kehren sie dann maskiert und unerkannt zurück, um der jeweils anderen den Hof zu machen. Natürlich sind Guglielmo und Ferrando von der Treue der Frauen überzeugt. Aber die Dinge laufen aus dem Ruder, weil Alfonso in der Zofe Despina eine listige Helferin findet. Zuerst wird die experimentierfreudige Dorabella schwach, doch auch Fiordiligi wirft schließlich ihre Moralvorstellungen über Bord mit der Einsicht: Machen doch alle so – così fan tutte.
Regisseurin Engelhardt gelingt mit Mozarts 1790 uraufgeführtem Spätwerk, seiner letzten Arbeit mit dem Librettisten Lorenzo da Ponte, eine erfreulich lebendige, durch Situationskomik bereicherte Produktion am Theater Aachen. Natürlich hat der an den Haaren herbeigezogene Plot da Pontes Schwächen hinsichtlich seiner Glaubwürdigkeit. Wie, bitteschön, soll denn eine Verkleidung beschaffen sein, wenn man nicht einmal die Personen, die einem am nächsten stehen, darin erkennen soll? Engelhardt versucht sich gar nicht erst an Perücken, Schnurrbärten und anderen Maskeraden. Sie belässt die Fremden so wie sie sind und tauscht lediglich ihre Soldatenuniform gegen casual wear. Damit schärft sie den Blick abseits von Äußerlichkeiten für die Motive und Emotionen der Akteure.
Deren Leistungen sind in jeder Hinsicht sehens- und hörenswert. Netta Ors dramatisch anmutender Sopran passt gut zu Fiordiligis Wechselbad der Emotionen, in das sie sich als reifere und besonnenere der beiden Schwestern begibt. Die junge Französin Fanny Lustaud, die in ihrer ersten Spielzeit am Theater Aachen bereits auf beachtliche Einsatzzeiten zurückblicken kann, brilliert als Dorabella mit großartigem Mezzo und enormer Ausdrucksstärke im Spiel. Andrew Finden gibt mit klangschönem Bariton einen etwas beschaulichen Guglielmo, während Haustenor Patricio Arroyo den verführerischen Ferrando in überzeugender Weise verkörpert.
Hrólfur Saemundsson verzichtet darauf, der Figur des Don Alfonso einen aristokratisch-intellektuellen Anstrich zu geben. So greift er, während Dorabellas Gefühle bei „Smanie implacabili“ Achterbahn fahren, recht ungerührt zum Nutellabrot.
Despina ist eine Partie, in der man eher darstellerisch als musikalisch glänzen kann. Das weiß Suzanne Jerosme effektvoll zu nutzen. Für ihre witzigen Metamorphosen Despinas als Doktor und als Notar fliegen ihr die Sympathien des Premierenpublikums zu.
Justus Thorau am Pult wählt für die Ouvertüre ein rasantes Tempo, welches er danach aber in eine gemäßigtere Gangart zurückführt. Das Sinfonieorchester Aachen gibt den Solisten durch eine ausgewogene Dynamik stets sicheren Halt.
Fazit: Ein hervorragendes Solistenensemble in einer im wahrsten Sinne überzeugenden Produktion, die beispielgebend zeigt, wie eine historische Oper zeitgemäß in Szene zu setzen ist. \
3.+7.7.
„Così fan tutte“
19.30/15 Uhr, Bühne, Theater Aachen
www.theateraachen.de
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