Odysseus, den griechischen Helden aus dem Trojanischen Krieg, dessen Name zum Inbegriff für ein nicht enden wollendes Herumirren geworden ist, kennt jeder. Weit weniger bekannt ist der Name eines anderen orientierungslosen Kriegers aus dem gegnerischen Lager: Aeneas, ein trojanischer Prinz, dessen Irrfahrten Vergils Aeneis zufolge zur Gründung der Stadt Alba Longa führten, aus der in späteren Zeiten Rom hervorgehen sollte. Er erleidet auf seiner Flucht aus Troja Schiffbruch vor Karthago, wo er sich in die verwitwete Königin Dido verliebt und sie sich in ihn. Natürlich endet die Geschichte tragisch, weil Didos Feindin, die Zauberin, mit magischen Kräften Aeneas zur Weiterfahrt veranlasst. Dido stirbt daraufhin an gebrochenem Herzen.
Der englische Komponist Henry Purcell hat ihr Schicksal nach einer Vorlage von Nahum Tate um 1689 großartig vertont. Didos Lamento über den Verlust ihres Geliebten „When I am laid in earth“ gehört zu den berührendsten Arien englischer Barockmusik und wurde von vielen großen Mezzosopranistinnen interpretiert – also eine durchaus ernst zu nehmende Herausforderung für Rina Hirayama. Die junge Stipendiatin der Theaterinitative Aachen zeigt in der weiblichen Titelrolle eine herausragende stimmliche Leistung. Es dürfte eine große Freude sein, ihre weitere Karriere zu beobachten.
Für die Inszenierung hat sich die junge Regisseurin Ramona Bartsch, die am Theater Aachen debutiert, etwas einfallen lassen und bei Vergil nachgeschlagen. Hierbei ist sie dann offensichtlich auf Sichäus, den ersten Ehemann Didos gestoßen, der in Tates Libretto keine Erwähnung findet. Ihm hatte Dido einst ewige Treue geschworen, so dass sich ihre Beziehung zu Aeneas als Bruch dieses Treueversprechens offenbart. Bartsch behandelt diesen Konflikt konsequent, indem sie Sichäus als „Cold Genius“ mit Purcells berühmter Arie „What power art thou“ aus der Semi-Oper „King Arthur“ vor die Ouvertüre platziert – Erinnerungen an die New-Wave-Ikone Klaus Nomi werden wach.
Auch die übrigen Gesangssolisten gefallen ausnahmslos. Bariton Fabio Lesuisse (Aeneas) wird erfreulicherweise in der kommenden Spielzeit als festes Mitglied dem Ensemble angehören. Beachtenswerten Hörgenuss bereitet auch der schöne Sopran von Rosha Fitzhowle in der Partie der Belinda.
Die musikalische Leitung obliegt Herbert Görtz, der das auf neuen Instrumenten musizierende Hochschulorchester sowie den großartig disponierten Chor zu einer transparenten, nuancenreichen und beweglichen Darbietung animieren kann. Völlig zu Recht quittiert das Premierenpublikum die Produktion mit lang anhaltendem Applaus. \ oh
2.+5.7.
„Dido und Aeneas“
19,30 Uhr, Bühne, Theater Aachen
theateraachen.de
WEITEREMPFEHLEN