Im Theater K soll dem Kapitalismus der Garaus gemacht. Zumindest, wenn die Irre es schafft, den Irrsinn zu beenden. Damit die Reichen nämlich noch reicher werden, wollen sie unter Paris nach Öl bohren. Dabei ist ihnen scheinbar egal, dass sie Lebensräume und Lebensträume all derer zerstören, die dort leben.
So banal und logisch das vielleicht klingt, um der Handlung und seinen mehr als 30 Charakteren zu folgen, muss der Zuschauer sich unglaublich konzentrieren. Es ist eben keine leichte Kost, wenn man sich die Rettung der Welt vornimmt. Auch wenn Schmidts Inszenierung immer wieder versucht Leichtigkeit ins Dunkle zu bringen. Die über 30 Rollen spielen Anton Schieffer, Andrea Klein, Berna Kilikli, Beate Lohse, Ismael Hawramy, Jochen Deuticke, Norman Nowotko, Martin Päthel und Mona Creutzer abwechselnd, schlüpfen innerhalb weniger Minuten in unterschiedlichste Kostüme, wechseln dadurch Geschlechter und Dialekte, bringen die Zuschauer zum Lachen, Staunen und Verzweifeln. In der titelgebenden Rolle steckt Anton Schieffer, der der Irren von Chaillot, neben all dem Wirrwarr nicht nur einen liebenswert schrulligen Tanten-, sondern auch Tuntenhut aufsetzt.
Aber von Anfang an: Im Café „chez francis“ machen sich Gerüchte breit: Vier skrupellose Geschäftsmänner wollen Millionen. Dafür brauchen sie lediglich ein paar Bohrtürme in den Tuilerien und eine gesprengte Pariser Innenstadt. Schließlich muss an die unter der französischen Hauptstadt liegenden Rohstoffe auch irgendwie rangekommen werden. Dass sie damit das Leben von wirklichen Menschen zerstören würden, bemerken sie nicht. Oder besser, es interessiert sie nicht.
Schließlich gehört in ihren Augen aus Prinzip der „100 Franc-Schein eher den Reichen als den Armen.“ Sie sind schmierig, überheblich, manchmal sogar dümmlich, frönen dem Wein und dem fettigen Essen, aber: Ihnen liegt – dank des Geldes – die Welt zu Füßen.
Was sind denn Musik und Blumen, was sind Lebenslust und Liebe schon gegen Geld, Gier und Grausamkeit? Das sind die Fragen, die der französische Dramatiker Jean Giraudoux in seiner Satire schon in den 1940er stellte. Klingt eigentlich leider viel zu allgegenwärtig.
Aber weiter: Das dunkle Gespräch der vier Geschäftsleute hören ein paar, sonst ungehörte Leute aus dem Dorf. Aus „Präsident“, „Baron“, „Börsenmakler“ und „Prospektor“ werden in Windeseile Lumpensammler (großartig Mona Creutzer), Kloakenreiniger, Blumenmädchen und Bezirkspolizisten, die die Dame Aurelie aus selbigem Dorf wie eine Gräfin verehren. Die Irre von Chaillot sieht es als ihre Aufgabe an, dem mächtigen Materialismus eine Falle zu stellen und die Welt für immer von ihm zu befreien. Dazu heckt sie mit ihren nicht minder skurril-schrulligen Freundinnen Constance, Gabrielle und Joséphine, den „Irren“ von Passy, St-Sulpice und La Concorde einen teuflischen Plan aus. Das Publikum schüttelt sich vor Lachkrämpfen, wenn eine der Irren dem Gespräch nur halb folgen kann, da sie damit beschäftigt ist, ihren leider kürzlich verstorbenen, aber in Gedanken bei ihr seienden kleinen Hund zu kämmen. Und während es dabei ist, die Lachtränen zu trocknen, lässt die Irre die Geschäftsleute, ohne mit der Wimper zu zucken, in den Tod laufen. Nur damit hinter ihr die nächsten Geister aufsteigen.
Während der ein oder andere noch einen fragenden Blick durch die Zuschauerreihen wirft, donnert dem spielfreudigen Ensemble bereits langandauernder und verdienter Applaus entgegen. \
1., 6., 22.+29.9.
„Die Irre von Chaillot“
20 Uhr (So 17 Uhr), Theater K im Tuchwerk
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