Für Wagner braucht man Zeit. Zeit und Sitzfleisch. Vor allem für sein vierteiliges Mammutwerk „Der Ring des Nibelungen“ müssen eingefleischte Wagnerjünger circa 16 Stunden Zeit investieren, verteilt auf vier Tage. Musikliebhabern mit weniger Freizeit bietet das Theater Aachen in der laufenden und in den beiden kommenden Spielzeiten eine komfortablere Alternativlösung an, indem es auf eine Bearbeitung des Werks zurückgreift, welche bislang erst zweimal am Theater an der Wien gespielt worden ist und sich somit als deutsche Erstaufführung präsentiert.
Ein interdisziplinär arbeitendes Team aus den Regisseurinnen Tatjana Gürbaca, Bettina Auer und dem Dirigenten Constantin Trinks hat aus der wagnerschen Tetralogie eine Trilogie destilliert und die Gesamtdauer auf rund 10 Stunden reduziert. Dabei werden in jedem einzelnen Teil auf sehr geschickte Weise jeweils zwei Opern aus dem Zyklus miteinander verwoben. Herausgekommen ist dabei eine sehr anschaulich und dicht erzählte Geschichte zu Wagners Originalsoundtrack aus dem Blickwinkel der nachfolgenden Generation, repräsentiert durch Hagen, Siegfried und Brünnhilde. Ihnen obliegt es, die Fehler, Versäumnisse und Freveltaten ihrer Vorfahren auszubaden. Der unverhohlene Bezug zum aktuellen Generationenkonflikt um das Weltklima wird auf der von Magdalena Gut spärlich möblierten Bühne durch Videoanimationen ausdrucksstark in Szene gesetzt.
Im Mittelpunkt des ersten Teils der Trilogie steht der von Avtandil Kaspeli stimmlich und figürlich großartig repräsentierte Hagen. Dessen Vater ist der Zwerg Alberich (Hrólfur Saemundsson mit einer Glanzleistung), der auf dem Grund des Rheins zwischen Plastikmüll hinter den Rheintöchtern her ist. Die finden sein Elefantenrüsselgemächt zwar durchaus interessant, aber nicht sonderlich begehrenswert, weswegen Alberich sich gegen die Liebe entscheidet und für die Macht, zu der ihm das geklaute Rheingold und der daraus geschmiedete Ring des Nibelungen verhelfen.
An dieser Stelle übernimmt Regisseur Johannes von Matuschka die Deutungshoheit über das weitere Geschehen. Denn für ihn besitzt heutzutage derjenige die Macht, der die Wasservorräte kontrolliert. Deswegen ist der Ring bei Matuschka auch kein Ring, sondern eigentlich eine Art Tastevin. Dessen Besitzer kann seinen Durst stillen, die anderen, allen voran Brünnhilde, gehen leer aus. Matuschkas Interpretation der Dinge ist ebenso interessant wie in sich stimmig und weckt Neugier auf die künftigen Teilakte des Werks.
Das um auswärtige Kräfte ergänzte Solistenensemble des Aachener Theaters ist bis in die Nebenrollen hinein erstklassig besetzt. Außer den bereits erwähnten Protagonisten überzeugen die Gastsänger Sonja Gornik als Brünnhilde und Tilmann Unger, der nicht nur wie Siegfried singt, sondern auch genauso aussieht. Sehr passend auch die Besetzung des pfiffigen Loge mit Hans-Georg Wimmer und des Mime durch Andreas Joost.
In technischer Hinsicht machen auch die Mitglieder des Sinfonieorchesters Aachen am Premierenabend einen tadellosen Job. Geteilter Meinung darf man allerdings über die Dynamikvorstellungen der musikalischen Leitung von Christopher Ward sein. Die Schallpegel, die er dem Orchestergraben ersteigen lässt, sind auf die Dauer schon strapazierend.
Die Rückmeldung des Premierenpublikums fällt positiv aus. Keine schlechten Voraussetzungen für die ambitioniert angesetzten weiteren neun Aufführungstermine in der laufenden Spielzeit. \
4., 6.+9.10.
„Hagen: Die Ring-Trilogie – Teil 1“
diverse Uhrzeiten, Bühne, Theater Aachen
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