Von Kira Wirtz
Bowie selber wollte, dass das Stück „Lazarus“ sich anfühlt wie ein Fiebertraum auf dem Weg zum Tod. Etwas wirr, hochgradig beklemmend, nicht leicht nachvollziehbar und definitiv skurril. Diese Kombination ist dem Team um Regisseur Christian von Treskow und Dramaturgin Inge Zeppenfeld, das „Lazarus“ auf die Bühne brachte, definitiv gelungen.
Ist das ein Designersessel mitten auf der Bühne oder ein Zahnarzt-Stuhl? Auf jeden Fall sind es ziemlich viele Ginflaschen, die um den beigen Sessel herumstehen. Ansonsten ist die Bühne vollkommen leer. Neun Türen führen auf die Spielfläche. In circa drei Metern Höhe flackern TV-Produktionen über die Bildschirme.
Da sitzt er, macht nichts als dauerhaft fernzusehen und Gin zu trinken und einem Leben außerhalb seiner Wohnung nachzutrauern, das er eigentlich auch nicht mehr führen möchte. Das Leben hat nämlich ohne sie keinen Sinn. Ihr Name: Mary Lou. Sein Name: Thomas Newton.
„Es bleibt nichts von der Vergangenheit. Jetzt ist jetzt. Also gieß ein!“, brüllt er in den Raum. Ist der Besucher ein Freund von früher? Kennt man sich? Mag man sich? Realität und Traum verschwimmen nicht nur vor Thomas geistigem Auge, sondern auch vor dem der Zuschauer. Mit dunkelgrüner Hose und tiefblauem Jackett und jederzeit irrem Blick taumelt Newton über die Bühne. Alternd, innerlich bereits verwesend und doch nicht in der Lage zu sterben.
Und während der Zuschauer gerade noch über Sinn und Unsinn des letzten Gesprächs nachdenkt, enttarnen sich die Fernseher als an die Wänden geworfenen Projektionen und hinter ihnen, in luftigen Höhen auf der Bühne, erscheint die Band um Malcolm Kemp, die zum ersten Song einsetzt. Und ab diesem Moment, geht es richtig los. Die Richtung? Für Newton Richtung Tod, fürs Publikum Richtung Standing Ovation.
Abgesehen von der teils verschrobenen, verrückten Handlung ist es das Ensemble mit seiner unglaublichen Power und seinem noch größeren Gesangstalent für Bowiesongs, das das Publikum zum Jubeln bringt – mit Benedikt Voellmy als Bowies Alter Ego und Lookalike samt orangen Haaren, mit teils original getragenen Kostümen wie das berühmte bauschige und glockenförmige Kostüm des japanischen Modedesigners Kansai Yamamoto.
Aber er ist nicht der einzige, der mit seiner Interpretation (bekannter und unbekannter) Bowiesongs aus allen Schaffensperioden brillierte. Auch Alexander Wanat als todbringender Valentin mit riesigem Reifrock, Stefanie Rösner in ihrem gelben Jumpsuit, in dem sie an eine Mischung aus Dolly Parton und Uma Thurman in Kill Bill erinnerte, Tommy Wiesner stimmgewaltig in gestreifter Hose, die drei spacigen Girls Nele Swanton, Petya Alabozov und Luana Bellinghausen, die mit ihren Perücken kaum zu erkennen waren, begeisterten. Vergessen sollte man auch nicht Julian Koechlin, der als Jüngster im Bunde bewies, das Können nichts mit Alter zu tun hat, und Philipp Manuel Rothkopf, der mit seinem leichten Spiel für laute Lacher sorgte.
Alle sangen Bowies Songs auf ihre Weise und mit ihren stimmlichen Möglichkeiten: Voellmy als Solokünstler mit Jazzhands und starker Stimme, Rösner nicht immer ganz treffsicher, aber dafür mit unglaublichem Elan und viel Herz, Wanat auf einer Schaukel vom Bühnenhimmel schwebend und die drei Mädels mit irrwitziger Performance. Für Gänsehautmomente der Spitzenklasse sorgte mit ihrer Gesangsleistung Sopranistin Soetkin Elbers.
Da ist es auch verziehen, dass sie rollenbedingt wie ein Zombie über die Bühne wandelt und man Angst hat, dass ihre Füße auch nach Ende der Vorstellung nach innen gekehrt stehen bleiben.
Entziehen sich die Gedanken auch manchmal der absonderlichen Geschichte, kann man den nächsten Song kaum abwarten. Über zwei Stunden ohne Pause erscheinen daher auch in keiner Minute zu lang. Das ist auch die allgemeine Meinung des Publikums, das sich am Ende vor Begeisterung kaum einkriegt. Verraten sei noch: Sollten sie auch so begeistert sein, bitte, klatschen Sie, was das Zeug hält, damit Sie das fulminante Ensemblestück mit „Starman“ als Zugabe nicht verpassen. Waren sie vorher kein Bowie-Fan, nach dem Abend sind Sie es. Dem Theater Aachen sei Dank. \
„Lazarus“
Bühne, Theater Aachen
HinterGrund
Inszenierung: Christian von Treskow
Musikalische Leitung: Malcolm Kemp
Bühne und Kostüm: Sandra Linde, Dorien Thomsen
Dramaturgie: Inge Zeppenfeld
Gitarre: Malcolm Kemp & Philipp Ullrich
Schlagzeug: Samuel Reissen
E-Bass: Uwe Böttcher
Keyboard: Moritz Schippers
Posaune: Tim Daemen
Saxophon: Boris Bansbach
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