Mit Klenkes-Redakteur Robert Targan sprach der Künstler über die Entstehung von Musik, das Studium bei Stockhausen und die Rückkehr an seine alte Wirkungsstätte.
Wie kam es zur Gründung von Can – war das eine Identitätssuche?
Ich war damals 30 Jahre alt – entweder sucht man seine Identität ein ganzes Leben lang oder ist in diesem Alter fündig geworden. Ich war klassischer Musiker und hatte irgendwann das Gefühl, ich müsste all das, was im 20. Jahrhundert Neue Musik war, zusammenbringen. Deswegen habe ich Can gegründet. Das hatte weniger mit Identität als mit der Tatsache zu tun, dass ich als Musiker einen neuen Weg gehen wollte.
Inwiefern ließen Sie musikalischen Back-ground und Musikerziehung hinter sich?
Natürlich fing ich damals mit etwas Neuem ganz von vorne an. Das, was man erlebt und gelernt hat, lässt man aber nicht einfach hinter sich sondern behält es im Kopf. Ist dies nicht der Fall, setzt sich auch keine Identität zusammen. Denn diese entsteht nunmal aus Geschichte und Erfahrungen.
Sie waren Schüler Stockhausens. Was genau hat Ihnen das Studium der Kompositionslehre mitgegeben?
Bei Stockhausen standen musikalische Form und Elektronik stark im Vordergrund. Er besaß dieses Studio beim WDR, dort war ich oft zu Besuch. Aber auch von Ligeti lernte ich: Analysen Neuer Musik und eine erfolgreiche Instrumentation. Dieser Prozess hört ja nie auf; bei Can etwa lernte ich von Jaki Liebezeit unendlich viel über Rhythmus. Am liebsten spiele ich mit Musikern, bei denen ich noch etwas mitnehmen kann.
Was war denn gerade das Neue in den klang-lichen Ausdrucksformen Stockhausens?
Nehmen Sie nur den „Gesang der Jünglinge“ – da hört man, was neu war. Solch eine Musik hat es davor noch nicht gegeben. Es war dieser neue -Umgang mit Elektronik, der eine komplett neue Klangwelt schuf.
Wenn ich mir den „Gesang der Jünglinge“ anhöre, wirkt dieser erst wirr und experimentell – das muss damals ein einschlägiges Klangerlebnis gewesen sein …
Das war es! Beim ersten Hören kann das Stück durchaus einen unverständlichen Eindruck hinterlassen. Der „Gesang der Jünglinge“ ist jedoch ein unerhörtes, komplex strukturiertes Werk und alles andere als wirr. Das gilt für sämtliche Kompositionen Stockhausens.
Inwiefern können denn einzelne Klänge Bilder erzeugen?
Das geschieht bei jedem Hörer auf ganz unterschiedliche Weise, denn jeder Mensch stellt sich beim Musikhören verschiedene Bilder vor. Ich selbst habe beim Musizieren keine Bilder im Sinne von „Kino“ vor Augen. Ich habe Musik im Kopf und möchte diese umsetzen. Ist diese reich, kann sie tatsächlich Bilder herstellen. Eine Musik, die bei allen Menschen das Gleiche hervorruft, ist vermutlich ziemlich arm.
Sie sind auch als Film- und Fernsehmusikkomponist tätig. Wie gehen Sie da bei der Arbeit vor?
Da ist man Teil eines Teams und arbeitet gemeinsam. Der Film gibt den Rhythmus vor, hergestellt durch die Inszenierung und den Schnitt. Diesen Rhythmus muss ich als Komponist erspüren, die Bilder des Films jedoch nicht immerzu illustrieren. Vielmehr verleihe ich dem Werk musikalisch eine dramaturgische Struktur.
Trennen Sie visuelle und auditive Eindrücke?
Das kann ich nicht trennen. Für mich ist das in erster Linie eine strukturelle Arbeit: Bögen zwischen den einzelnen Szenen schaffen und jedem Film eine ganz eigene, spezielle Klanggestalt verleihen.
Zurück zu Can – viele Musiker beriefen und berufen sich auf diese Gruppe …
Da gibt es einige Bands, von denen ich das weiß. Ich bin sehr oft in London – kürzlich traf ich etwa Geoff Barrow von Portishead. Auch Primal Scream kenne ich sehr gut oder Andrew Weatherall. Viele Künstler nennen Can als großen, wichtigen Einfluss. Musik entsteht nunmal nicht aus dem Nichts sondern steht in einer gewissen Tradition.
Im Rahmen von „Nach Stockhausen“ kehren Sie an alte Wirkungsstätte zurück – was haben Sie aus Ihrer Zeit als Kapellmeister am Theater Aachen mitgenommen?
Unter anderem habe ich die Bühnenmusik des Theaters betreut, da gab es einige spannende Geschichten. Damals umkreiste zum Beispiel noch eine quietschende Straßenbahn das Theaterhaus – ich nahm deren Klang auf und nutze diesen für ein Beckett-Stück. So entstand ein sehr verwirrendes Sound-Design.
Neben einer Gesprächsrunde gibt es am 29. November auch ein DJ-Set …
Genau! Ich werde ein wenig Can auflegen, damit die Besucher wissen, worüber wir vorher gesprochen haben. Ich freue mich auf ein spannendes Gespräch und ein nettes Publikum. \
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