von Ulrich Kriest
Hierzulande hat es die „Musica popular brasileira“ (MPB) traditionell nicht leicht, weil sie immer zwischen den Stühlen sitzt. Die unerhört vielfältige Musikszene Brasiliens ist ja viel mehr als Samba oder Bossa Nova. Es gibt Rock, Funk, Soul, Disco und auch alle anderen Spielarten der Popularmusik, aber irgendwie wird alles immer unter „Weltmusik“ verhandelt. Oder es wird eben auf Ed Motta geachtet.
Mal wird ein Künstler oder Künstlerin entdeckt, wird promotet, tourt gar, aber schon das nächste Album wird dann hierzulande nicht mehr veröffentlicht. Schon länger nichts mehr gehört von Bebel Gilberto oder Ceu. Wer erinnert sich noch an Wagner Pá, Suba, Lenine, Chico Caesar oder Moreno Veloso? Oder jemand wie David Byrne entdeckt sein Faible für die MPB und kuratiert eine Reihe von Kompilationen, die dann die Möglichkeit bieten, „Brazil Classics“ wie Tom Zé oder „The Existential Soul of Tim Maia“ kennen zu lernen. Systematisch erfasst wird immer nur die Geschichte der MPB, aber nie deren Gegenwart. Symptomatisch dafür scheint auch die Geschichte von Ed Motta, Jahrgang 1971, zu sein – und zugleich die Ausnahme von der Regel.
Motta ist der Neffe des in Brasilien legendären Tim Maia und kommt sehr früh selbst zum Musikmachen. Erst singt er in einer Hardrock-Band, dann gelingen ihm mit Conexiao Japerì Ende der 1980er Jahre erste Hits. Er spielt jetzt Rock, Blues, Soul und Jazz. Seit 1990 ist er solo unterwegs, lebt zwischenzeitlich auch mal in New York, wo er mit Roy Ayers oder Ryuichi Sakamoto zusammenarbeitet. Als Ed Motta, dessen Plattensammlung wie sein Körperumfang im Laufe der Jahre ungeheure Formen angenommen haben, in Brasilien und auch in Portugal, dem natürlichen Brückenkopf der MPB in Europa, längst ein Star ist, ist er hierzulande noch nicht einmal ein Geheimtipp.
Doch dann kommt der Zufall in Form der neuesten Mode im Westen Motta oder besser: uns zu Hilfe. Plötzlich und über Nacht lautet die Losung der Saison für die hippen Mover und Shaker „Yacht Rock“. Parole: „Too Slow To Disco“. Es geht um die Wiederentdeckung jenes eleganten, perfekt produzierten spätsiebziger Westcoast-Softrocks, den man etwa mit Namen wie Fleetwood Mac, Hall & Oates oder auch den Doobie Brothers mit Michael McDonald verbindet. Da passt es doch prima, dass Ed Motta mit „AOR“ (= Adult Oriented Rock) gerade die beste Steely Dan-Platte produziert hatte, die nicht von Steely Dan stammt. Bessser: die klingt, als hätten Steely Dan einst ein Album für den brasilianischen Markt auf portugiesisch eingespielt, denn Motta kann den Donald Fagen wie sonst nur Donald Fagen. Er kann aber auch den George Duke. Und den Stevie Wonder. Es folgt die längst überfällige Deutschland-Tour, die alle, die dabei sein durften, sprachlos vor Glück machte. Ed Motta komponiert Songs, die aus den besten Momenten seiner legendär umfangreichen, 30.000 Einheiten Plattensammlung gebastelt sind. Sie sind perfekt bis zum letzten Gitarren-Lick, bis zum passgenau einsetzenden Saxophon-Solo. Dazu hat er eine umwerfende Live-Band im Gepäck, die auf höchstem Niveau zaubert, während der Meister selbst sich als eine echte Rampensau und überaus humorvoller Entertainer erweist und offensiv das Publikum mitnimmt, aus dem Stand über seine zentralen TV-Erlebnisse wie „Magnum“ extemporieren kann und zudem über eine feine Soul-Gesangsstimme verfügt. Zwischenzeitlich lebt er sogar mit seiner Ehefrau, der Comic-Autorin Edna Lopes, in Berlin. Wahrscheinlich auch, um sein profundes Wissen um die Braukunst und den Weinbau auszubauen. Seit „AOR“ hat er mit „Perpetual Gateways“ und „Criterion of the Senses“ zwei Alben produziert, die das Niveau problemlos halten.Hier ist zweifelsohne jemand gekommen, um zu bleiben.
10.8.
Ed Motta
20 Uhr, Burg Wilhelmstein
Nachzügler
„The late seventies and early eighties are my religion“, so Ed Motta, der in seiner Heimat mit Verspätung auf den deutschen „Beat-Club“ stieß.
Website Burg Wilhelmstein
Website Ed Motta
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