Die einen sehen eine Ära des Live-Streams beginnen, andere wittern zumindest einen digitalen Schub im technisch unzureichend ausgerüsteten Deutschland. Es geht um Zukunft, um Geschäftsmodelle und Einsparungen zugunsten von Umwelt, Firmen und Staat. Der Druck von Covid 19 befördert gewohnheitenersetzende, digitale Anwendungen. Weniger fahren durch Videokonferenzen und Familienskypen. Scheint besser, optischer und direkter als Briefe zu schreiben, einfach zu mailen oder gar zu telefonieren.
E-Learning soll Breitenwirkung entfalten. Je nach Mikro und Netzqualität. Das fördert Bildschirmaffinitäten und Tastaturkommunikation. Was für eine? Absprachen, Informationsstreuung, Neugierbefriedigung, Unterhaltung? All das berührt die Themen Gemeinschaftlichkeit und Konsumformen. Zum Versandkatalog ist noch die Verkaufsplattform und der Home-Office hinzugekommen. Ganz schön viel kann man von zu Hause aus bewerkstelligen, an Arbeit verrichten und somit der Langeweile entgegenwirken.
Will wirklich jemand den ganzen Tag auf der Couch hocken? Das kann Wege und Büroräume sparen, aber es isoliert, schafft individualisierte Konsumenten. Brieffreunde, soziale Netzwerke und virtuelle Kontakte schaffen Austausch. Gedanken, Emotikons, Bilder, Klänge, Waren, verbinden so vereinzelte Interessen, die sich in Familien, Nachbarschaften, Vereinen, Verbänden, Glaubensgemeinschaften, Staatsgebilden zu Netzwerken und Gruppenzugehörigkeiten verbinden. Direkter und gemeinsam (mit störenden Nebengeräuschen) erlebt man Theater, Zirkus, Kino, Konzert, Festival und Messe. Das geht auch virtuell und ist in der Diaspora sehr tröstlich, aber es fehlt etwas ohne räumliche Nähe, was man jetzt spürt und einige digitale Angebote innerlich zu Notlösungen und Ersatzmöglichkeiten, zu Surrogaten herunterdimmt.
Das menschliche Miteinander, Berührungen, wäre es das schon? Gemeinschaft als Gruppenerfahrung im Kunstbereich war das Schwimmen im Gewusel von Ausstellungen und Messen, teils Sehen und Gesehenwerden und Dagewesenseinsfreude.
Kunstbetrachtung? Reicht es also, eine fotografierte Ausstellung ins Netz zu stellen, wie einen Katalog, eine Auktions- oder Bildplattform? Zum Einschätzen, zum Kauf und zur Zerstreuung mag es genügen, aktuell auch als Mindestöffentlichkeit für eine unvorhergesehene Schließung, wo man doch schon alles vorbereitet hatte. Virtuelle Rundgänge mögen grob auch die Raumkonzeption einer Ausstellung nachvollziehbar machen, die kuratorische Leistung also. Aber es bleibt ein dürftiger Ersatz, eine dokumentarische Form, wie bei Videos von Performances oder Landart-Projekten. Dokumentation, Simulation und Konserve haben ihre eigene Bildsprache, wie der dafür gemachte Film oder Videokunst. Druckgraphik legt es auch lange schon nicht auf ein Original an, höchstens auf Grauwertqualität.
Installationen als virtuelle Kopien lassen einen Großteil der Ideen und Raumbezüge nachvollziehen. Was fehlt also? Im Blumengarten sitzen oder ein Foto davon betrachten, im Museum sitzen oder im Katalog blättern, im Konzert sitzen oder eine CD hören, ein Theaterstück sehen oder das Skript lesen. Ein Fußballspiel live oder im Fernsehen verfolgen. Der Körper wird komplexer angesprochen, gefordert, aktiviert, gar gebildet. Erfahrungen und Anregungen sind intensiver, erzeugen Resonanz. Wie Georg Schmidt einst formulierte: die Sinne werden verfeinert, die Heiterkeit des Gemüts erhöht, die Wachheit des Geistes gefördert. \
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