Im Schloss Zweibrüggen widmet ihm das dortige Künstlerforum als erstem frisch gekürten Ehrenmitglied eine Überblicksausstellung mit Katalog. In der Galerie 45 in Aachen wird eine Gemeinschaftsausstellung mit Rudi Löhrer folgen, die dessen Objektcollagen und die jüngsten neuen Skulpturen und Zeichnungen von Hermann Josef Mispelbaum zeigt.
Hermann Josef Mispelbaum hat bei farbintensiven Malern gelernt: Ernst Wille, Rupprecht Geiger und Gotthard Graubner, für den er dessen Farb-Kissen vorbereitet hat. Dennoch hat er sich für Schwarz-weiß-grau entschieden, denn das ist nüchtern neutral, es vereinheitlicht die vielfältigen Themen im Umfeld der Situation des Menschen in der Welt und dem Zustand der Erde, die für den gesellschaftlich denkenden Künstler bedeutsam geblieben sind. Er schildert die Zustände in freier Linie und Kontur, auch in großformatiger Malerei oder collagierten Papierschnitten. Ab 1997 schließlich wird er plastisch und montiert Gegenstände mit Leim, Gips und Farbe, die dann auch zeichnerisch filigran überarbeitet wird. Nie geht es um hübsche Bilder, sondern um wahrhaftige, erlebte und empfundene Wirklichkeit, um komplexen zeichenhaften Ausdruck. Vom frühen Leitbild Bacon ausgehend emanzipiert er sich zu einem einzigartigen, sparsamst farbigen Darstellungsstil von rätselhafter Direktheit. Persönliche Erfahrungen, Nachrichtenwirklichkeit, Gelesenes verdichten sich immer wieder zur Darstellung geschundenen Lebens, gequälter Kreatur, gefährdeter Natur und das schlägt sich in Titelfindungen wieder, die poetisch direkt, schelmisch vertrakt und in Zyklen am Thema bleibend den Schöpfungen eine weitere Wendung geben. Alles bleibt figurativ und gegenständlich, ist aber nicht realistisch, sondern löst die Körper in Wendungen, Windungen und Krümmungen auf, die exemplarisch Belastetes, Krankheit, Demütigung in sich durchdringenden Segmenten vorführen.
Phantasie und Wirklichkeit
Die Räume sind durch Linienbündel an den Horizont erstreckt oder verbrettert, bilden eine Bühne oder einen sphärischen Raum. Das ist voller Phantasie und immer nachvollziehbar im Groben und variantenreich und offen im Detail. Eine anspielungsreiche Wirklichkeit voller Mehrdeutigkeiten zeichnet sich ab und ist in der fein oszillierenden Zeichnung von schroffer Sensibilität, ob Klima, Krieg, der trotzige junge Karl, Krankenhausaufenthalt, Blasenschwäche, Mißbrauch von Priestern, Leiharbeit oder Flaschensammler. Die nicht so liebliche Gegenwart, die Holzwege und Lebensschwächen verdienen Bilder, die Hermann Josef Mispelbaum wie kein anderer schafft. Zugleich haben sie etwas ausgesprochen Tröstliches, denn sie werden nicht verdrängt, sondern Anstoß zur Auseinandersetzung. Die unnachahmlich radikale Schlüssigkeit seiner mitunter vielfach umgearbeiteten Werke zeigen den Vollblutkünstler, der sich mit genehmen und gefälligen Kompositionen nicht begnügt, weil sie dem Empfundenen, dem gebündelten Moment und dem Versuch, wenig behandelte Aspekte der Wirklichkeit genau zu treffen, ohne sich selbst zu belügen, nicht entsprechen.
Unbehagliches und Bedrohliches
Die Phantasie dieser kraftvollen Bilder nutzt ein gewisses wiederkehrendes Vokabular (Erdrund, Gesichter, Haken, Gatter), aber nichts davon ist wiederholbar, collagierend austauschbar, denn es geht um einen Gehalt, dem treffend die Richtung gewiesen wird und den man spürt, aber in langen Jahren nicht als verdaute und langweilige Chiffre abtun kann. Unbehagliches und Bedrohliches wird thematisiert, das alle angeht und mit Humor und Schelmentum gewürzt ist, aber es geht nicht um Schock und Horror. Dem Menschen mit Bedauern zugeneigt, entsteht hier ein Kosmos von sich durchdringenden Fragmenten, Gesten und Figurationen, die in Andeutung, Verwischung und Kürzeln die Geschehnisse in Bewegung und auf den Punkt bringen, ohne ein plumper Schnappschuss zu werden. Was der Mensch sich antut, wird Welttheater und flammt als Erkenntnisstückwerk in der unbegreiflich widersprüchlichen Welt auf, in die wir alle geworfen sind. Insofern entsteht auch ohne Abbildlichkeit keine Scheinwelt, sondern höchst reale Kunst von bleibendem Wert, bei der es um etwas geht, um geteilte Bildarbeit am Verstehen der Wirklichkeit. \ Dirk Tölke
Hermann Josef Mispelbaum
Nachrichten aus der Erdklinik
Künstlerforum Schloss Zweibrüggen
bis 11.10.
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