Von Dirk Tölke
Für jemanden, dem Malen als Tätigkeit sein Leben bedeutet, ist Sonstiges weniger wichtig. Da dient das Malen bisweilen ganz kurzfristig der Ernährung oder dem Gegenwert eines Biers. Das läuft in der fortlaufenden Produktivität und bildhaften Reaktion auf Erlebtes und Erschautes jedem kaufmännischen Denken zuwider. Dafür ist der „Künstler-Künstler“(Wolfgang Becker) Hartmut Ritzerfeld bekannt, wodurch solche Anekdoten den Maler verdecken, wie das abgeschnittene Ohr den Blick auf van Gogh ins Biographische versenkt.
Soweit man überhaupt die Vita als hilfreich für ein Bildweltverständnis ansehen kann, ist natürlich der Ein?uss der Lebens- und Ausbildungszeit darin nachzuvollziehen, aber nicht direkt. So ist Hartmut Ritzerfeld als Meisterschüler von Joseph Beuys bekannt, der viel traditioneller Grundlagen vermittelte, als man gemeinhin denkt. Ritzerfeld hat dort Freiheiten genossen und Anerkennung als Künstlertypus, der das nicht als Beruf oder Freizeitaktivität macht, sondern lebt. Insofern, Kunst und Alltag verbindend, folgt er seinem Lehrer, aber nicht formal.
Nach Eifel-Realismus, Düsseldorfer Malerschule, Phantastischem Realismus und Lyrischem wurde er früh ein spezieller Trabant der geühlsorientierten „Neuen Wilden“, die sich gegen den herrschenden Minimalismus und die Konzeptkunst und die totbehauptete Malerei aufsässig zeigten und ihre eigene Lebens- und Emp?ndungswelt realistisch und expressiv darstellen wollten.
Grafitti als Ausdruck von Spontanität
Das ging auch gegen Beuys, der sagte: “Der Fehler fängt schon an, wenn einer sich anschickt, Keilrahmen und Leinwand zu kaufen.” Dem ekstatischen Vibrieren Anderer setzte Hartmut Ritzerfeld dabei bis heute spontane Entschiedenheit entgegen, totale Gegenwärtigkeit ohne Absicht und Manieriertheit in der Bild?ndung.
Er arbeitete anfangs freskenzart, dann kontrastgrell, bald chiffrenumlagert und immer mehr von Planung zu Improvisation übergehend, um schließlich kontursicher im informellen Farb?achenkosmos seine klassischen Bildthemen Portrait, Landschaft, Stilleben, Genre und scharfschnabelige Vögel zu umreißen. Ein unkonventioneller Traditionsverarbeiter, der auch aktuelles und persönliches Bildgut aufgreift.
Gra?tti, als Ausdruckvon Spontanität, Existenzwillen, Widerspenstigkeit und Freiheit gab Anstöße, Musik und die Aufarbeitung des Nationalsozialismus und knechtender Erziehungsideale eigener Jugendzeiten kamen hinzu.
Insofern ist auch Hartmut Ritzerfeld Zeitgenosse, ein 1950 geborener, im katholischen Büsbach gutbürgerlich verortet, in der Stolberger Künstler- und Musikerszene beheimatet und der bewunderte Kern der Von Win Braun initiierten Venn-Akademie, die der avantgardistischen Metropolkultur ihr eigenes ländlicheres Themenideal entgegentrotzte, wo die Freiheit bisweilen ins Exzessive entglitt, bisweilen aber unerwartete Internationalität gewann.
Ritzerfelds Malerei ist von Zeichen und Kürzeln mitgeprägt (Zahlen, Worte, Hakenkreuze, Sowjetsicheln, Kreuze) und von der Auseinandersetzung mit klassischer Moderne, mit farbkraftigem Brücke—Expressionismus, Beckmann, Hodler, Kirchner, Munch, Macke, Matisse, Hofer, Guttuso und vor allen Picasso. In Zürich kam „Art Brut“ hinzu (Nicht korrekt, nicht schön, aber auf eine andere Art <auf>richtig). Informelles schlierte sich in die Farben.
Dieser Maler rezipiert all das, saugt auf und fasst zusammen, ohne nachzuahmen oder die Auseinandersetzung zu vertuschen. Er entwirft im Kopf, wählt traumwandlerisch die Farben, sammelt sich zum Pinselsprung, teilt gelegentlich die Bild?äche mit Kohlekonturen ein und zeichnet dann mit Farbe in einem Zug. Das sitzt und hat Intensität.
Zur Person
1950 in Stolberg-Büsbach geboren, machte Hartmut Ritzerfeld 1965-68 eine Lehre als Reklametafelmaler und Dekorateur bei Bloemer und Appelrath am Dom in Aachen. 1969-76 studierte er an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Karl Keindl (Bühnenbild) und Joseph Beuys, dessen Meisterschüler er wurde. 1978 folgte ein Studienaufenthalt in Zürich. Nach kurzem Aachenaufenthalt wohnt er seitdem im elterlichen Haus in Büsbach. Ateliers in Düsseldorf mit Daniela Florsheim, in Zürich mit Friederike Oechsli und in Stolberg mit Angelika Kühnen.
ab 19.4. (Coronaabhangig): Arbeiten von Hacki Ritzerfeld im Energeticon, Alsdorf
Energeticon Alsdorf
Kuraro, Aachen
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