Von Belinda Petri
Zunächst lag es an der dringend zu erneuernden Klimaanlage, dass das Suermondt-Ludwig-Museum 2019 für einen lingeren Zeitraum geschlossen wurde, dann kam Corona um die Ecke und verzögerte die Wiedereröffnung um weitere Monate. Mit der Museumsöffnung ab März kann nun einerseits der zweite Teil der Kabinettausstellung „Chambre privée“ und andererseits die Neupräsentation der kompletten Sammlung auf drei Etagen bewundert werden. Die lange Schließungszeit wurde für die Neukonzeption, den Umbau und die Einrichtung der Räume genutzt.
Bereits im Foyer wird dem Historismus, dem Architektur- und Interieurstil der ursprünglichen Villa Cassalette, mit einer heimeligen Sitzgruppe und Palmen gehuldigt. Hier kann man sich einen kleinen Salon ür Kaffee, Tee und Kuchen schon bildhaft vorstellen - Vielleicht kommt ja irgendwann die Zeit, dass wieder über ein schnuckeliges Museums-Cafe nachgedacht werden kann.
Mit dem Eintritt in die Ausstellung „Chambre privée“ durch den schweren Samtvorhang tut sich ein exklusiver Einblick in das Wohnzimmer einer Sammlerfamilie auf: Mittels maßstabsgerecht gefertigten Fototapeten vom Aachener Architekturfotograf Peter Hinschläger wird die „natürliche Umgebung“ der hochkarätigen Gemälde holländischer Meister frappierend echt wiedergegeben. Die Qualität von Willem Claez. Hedas Stillleben, Jan van der Heydens Architekturmotiven aus Köln oder Jan Grifiers Winterlandschaft sind schlichtweg beeindruckend.
Die Auswahl nach Qualität hat auch bei der Neuausrichtung der Sammlungspräsentation eine große Rolle gespielt. Das Kuratorenteam hat dabei sorgsam zwischen künstlerischen Highlights und kontextuellen Zusammenhängen abgewägt. Aus der akademischen Hängung nach Malerschulenwurde in zahlreichen Abteilungen eine lebhafte Inszenierung, die in der detailverliebten Kunst- und Wunderkammer einen Höhepunkt ?ndet. Aber auch der heutzutage schwer zu vermittelnde Kern der Museumssammlung — christliche Kunst des späten Mittelalters und der Reformationszeit — wird mit ra?inierten Details in Szene gesetzt, zum Beispiel mit passendem Tischgerät zu den Abendmahlsdarstellungen des 16. Jahrhunderts.
Alte Bekannte und neue Schätze
Das neue Farbkonzept der Wände ist den Kunstwerken harmonisch angepasst, mitunter setzen kräftige Farböne ein besonderes Ausrufezeichen, wenn sie beispielsweise mit sattem Blau der bisher eher langweilig präsentierten Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts frischen Verve verleihen. Neben „alten Bekannten“ (dem Jünglingsbildnis von Rembrandt nebst „Sel?e—Spiegel“ oder den niederländischen Stillleben mit einer eigens inszenierten Trompe-l’oeil-Wand) gilt es auch zahlrei-
che bislang wenig bekannte Schätze aus der reichhaltigen Museumssammlung wie den Aachener Expressionisten Willi Kohl oder die Rathaus-Studien von Alfred Rethel im neuem Gothic-Ensemble zu entdecken.
Besonders stolz ist das Kuratorenteam auf die „Asservaten-Kammer der Kunstdetektive“, in der beispielsweise ein — 1886 bei der Er?ffnung des ersten Kunstmuseums in der Komphausbadstraße als anstößig empfundenes — Barockgemälde bei moralischen Bedenken mit einem Vorhang verdeckt werden kann.
Vom handfesten Skandal zum didaktischen Anspruch: Mit viel Liebe zum Detail wurden die beiden Nischenräume neben der opulenten Treppe als Maler- beziehungsweise Schnitzerwerkstatt eingerichtet, in denen zahlreiche Werkzeuge die Arbeitsschritte vom Holzblock zu Skulptur oder der Leinwand zum fertigen Gemälde illustrieren.
Das geschieht ganz analog, ohne technischen Schnickschnack, wenn mittels Schleich-Figürchen erklärt wird, dass beispielsweise Fehhaar-Pinsel (Eichhörnchenhaare) bei der Vergoldung von Skulpturen eingesetzt wurden.
Mit den Digitalformaten „Kunstpause“ und „Inside@Suermondt-Ludwig-Museum“ schickt das Team regelmäßig dienstags und freitags kurze Videos zu einzelnen Kunstwerken in die Welt, mit denen man sich bis zur vollständigen Öffnung aller Sammlungsräume und der Wiederaufnahme von Führungen und Veranstaltungen, trösten kann. Auch wenn ein barocker Busenblitzer heute keinen Skandal mehr provoziert, der Besuch des Museums lohnt in jedem Fall, denn die reichhaltige
Sammlung hält noch viele Entdeckungen bereit.
Suermondt—Ludwig-Museum
Wilhelmstr. 17, 52062 Aachen
Homepage Suermondt-Ludwig-Museum
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