Von Belinda Petri
Der sachlich-schlichte Titel „Survivors – Faces of Life after the Holocaust“ bringt das Projekt des international bekannten Fotografen Martin Schoeller auf den Punkt: Die brillanten Porträts manifestieren auf eindrückliche Weise, dass Hass und Gewalt nur mit Liebe und Zuversicht besiegt werden können.
Der Festakt in der Sint Janskerk begann mit dem Coldplay-Song „Clocks“, ein ungewöhnlich kraftvolles Intro – sowohl hinsichtlich des Ortes als auch des Themas. Statt seichter Eröffnungsreden traten starke Persönlichkeiten mit ebenso starken Botschaften ans Mikro, darunter Maastrichts Bürgermeisterin Annemarie Penn-te Strake mit ihrem Appell an Hoffnung und Menschlichkeit und die junge Journalistin Natascha van Weezel, die anhand der Flucht ihrer Großeltern den Alltag im Krieg illustrierte. Der eigens zur Ausstellungseröffnung angereiste 82-jährige Maurice Gluck, einer der porträtierten Holocaust-Überlebenden, erzählt die ergreifende Geschichte seiner Stiefeltern und ihrer Rückkehr 1945 und schließt mit den Worten, dass er – ganz wie sein Name – sein Leben so gut wie möglich gelebt habe und „ein glücklicher Mann“ sei.
In dieser Aussage steckt die Essenz des Projektes: Martin Schoeller begann 2019 mit den Aufnahmen zu seiner Porträtserie anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. In der Internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem traf er innerhalb von 10 Tagen auf 75 Menschen, die bereit waren, sich von ihm mit seiner Großbildkamera porträtieren zu lassen – immer frontal, mit dem gleichen Lichtsetting und extrem dicht dran. Diese „Close-Ups“ sind das Markenzeichen Martin Schoellers, so wie er bereits in früheren Serien, beispielsweise den 2010 bei der Fotobiennale BIP in Lüttich gezeigten „Female Bodybuilders“ mit seinem hyperrealistischen Stil eine verstörende Wahrnehmung provozierte, so gelingt es ihm auch bei den Survivor-Porträts Schrecken und Schönheit in ein Bild zu packen. Ohne Retuschen, nur mit leichten Farbkorrekturen, haben sich 75 Frauen und Männer porträtieren lassen und offenbaren damit auch eine selten gesehene Ästhetik des Alters. Die Einheitlichkeit seiner Technik, bei der er die Augenhöhe des Gegenübers misst und dann seine Kameralinse auf die gleiche Höhe setzt, ermöglicht die Konzentration auf das Wesentliche, es gibt keinen Hintergrund oder unnötiges Beiwerk, das ablenkt. Das Gesicht ist der Mensch! Für Schoeller sind alle gleich, ob Politiker, Hollywood-Filmstar, Drag Queen oder zum Tode Verurteilter im Hochsicherheitstrakt – jedes Porträt wird mit dem gleichen Licht, der gleichen Kamera und dem gleichen Respekt angefertigt.
Im Gespräch erzählt Martin Schoeller, dass die Shootings teilweise so intensiv waren, dass danach im Team absolute Stille und Sprachlosigkeit herrschte. „Die Arbeit war eine emotionale Achterbahnfahrt, zum einen gab es diese erschütternden Berichte über das Erlebte in der Vergangenheit, zum anderen die Offenheit, die Freundlichkeit und den Optimismus.“ Für Martin Schoeller ist das fotografische Festhalten dieser letzten Zeitzeugen eine Herzensangelegenheit, nicht nur, weil seine Frau Jüdin ist. Laut Martin Schoeller ist der Schlüssel zur Verständigung, um Feindseligkeit und Rassismus entgegenzutreten, das Unbekannte kennenzulernen. Damit sind die intensive Zusammenarbeit und vertrauensvolle Nähe zwischen den jüdischen Holocaust-Überlebenden und dem deutschstämmigen Fotografen das beste Beispiel für Versöhnung und Frieden.
„Diese Überlebenden stehen für Stärke und Kraft. Sie haben nach all den grausamen Erlebnissen ihr eigenes Leben in die Hand genommen, haben gearbeitet, Familien gegründet und Häuser gebaut und stehen nun, zum Ende ihres Lebens, für diese enorme Fähigkeit zu vergeben und Frieden zu schließen.“ Spricht’s und winkt Maurice Gluck heran, um mit ihm zum Ausklang der Eröffnungsfeier an der Museumsbar einen Gin Tonic zu trinken und auf das Leben anzustoßen. \
Zur Person
Martin Schoeller (*1968 in München) machte beim Berliner Lette-Verein eine Ausbildung als Fotodesigner. Seit 1993 lebt er in New York, wo er unter anderem als Assistent der Fotografin Annie Leibovitz arbeitete. \
Webseite Fotomuseum aan het vrijthof
Webseite Martin Schoeller
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