Von Dirk Tölke
Hier kann man sehen, was mit Pigment, Graphit und Farbstiften an Bildwirkung möglich ist und wie die Technik der Zeichnung immer noch mithalten kann, um einen Mehrwert des Bildes gegenüber dem Abbild zu schaffen. In Zeiten von Geoästhetik, virtueller Realität, medialer Präsenz und Dauerbefeuerung mit voroptimiertem Bildgut mit Sensationscharakter, ist die Entscheidung für handgemachte Kunst und menschenleere, entlegene Landschaften eine Darstellungsabsicht abseits des Mainstreams. Für eine Flucht in eine heile romantische Welt zu karg, für den Rückzug in eine fantastische Idylle zu wirklichkeitsnah, verschließen die Bilder von Gerlinde Zantis nicht die Augen vor den Naturgegebenheiten, sondern lassen vielmehr die Darstellung einer möglichen, von menschlichen Relikten weitgehend befreiten Biosphäre erlebbar werden, in der Stille, Weite und Intensitätssteigerung zu finden sind. Sie erzeugt Landschaften ohne Eventcharakter und konfektionierte Stimmung, die ein von Ablenkungen freies sich Einlassen auf Natur möglich machen, die noch nicht verloren ist, aber die gesucht und aufgesucht werden muss. Sie wird von ihr durchaus mit Medien wie der Fotografie erfasst, aber auch persönlich empfunden und soll unvoreingenommen erscheinen. Bereinigt, komponiert, gesteigert, markant gemacht, um einem erkundenden Blick einen Freiraum zu bieten, der Strich für Strich entsteht. In ihren neueren Bildern mischen sich zusehends unaufdringliche blaue, bräunliche und grüne Farbtöne in die realistische Darstellung von Landschaftsräumen in Südostfrankreich. Insbesondere die Départements Ardèche und Gard sind seit Jahrzehnten ihre Erkundungsräume für die Darstellung von Wäldern und Flüssen
in Kalksandsteingebirgen. Die gewaltige Formation der für Kanufahrer beliebten Flusstäler und die dichte Urwüchsigkeit der für einsame Spaziergänge lockenden Baumbestände bieten mitten in Europa noch einen direkten Zugang zur scheinbar unmittelbaren Naturerfahrung. In ihren Bildern bieten sich menschenleere und tierfreie Szenarien, in denen man den Horizont oft nicht sieht, die Verläufe von Wegen und Flüssen in Abknickungen und Raumstaffelungen versteckt erscheinen. Die häufig mondhelle Nachtbeleuchtung entrückt die Wirkung den üblichen touristischen Bildmustern ins Zwielichtige und nähert sie den Seherfahrungen von Filmkulissen an. Von Western bis Science-Fiction erscheint das Auftauchen von irgendetwas hinter der nächsten Biegung oder im nächsten Moment möglich. Diese Spannung resultiert aus der kompositorischen Gliederung der Bildräume und aus der fahlfarbig irrealen Vollmonddurchlichtung, die weder blauen Himmel, noch gleißende Taghelle zeigt, aber glaubhaft erscheint. Aus Fotografien, die sie meist vom Wasser aus mit Neoprenanzug fertigt, erzeugt sie Vorlagen durch Entfernen von menschlichen Zeugnissen und durch Collagen von Landschaftselementen aus unterschiedlichen Quellen, die die Wirkmacht der Landschaftsräume intensivieren. Nichts Überflüssiges drängt sich dem Betrachter in den Bilderfindungen auf. In der Stille dieser Örtlichkeiten spielt Zeit keine Rolle. Ein Bedürfnis nach historischer Einordnung findet keinen Widerhall. Mehr typisiert, als idealisiert, wird hier unspektakulärer Wildwuchs in durchaus von Wanderern genutzten öffentlich zugänglichen Gefilden auf eine Weise arrangiert, die beeindruckt durch eine dem menschlichen Maßstab überlegene Natur, die in ihrer Wirkung schiere Anwesenheit beim Betrachter hervorruft. Weder ist man beängstigt, noch von sensationellen Sehenswürdigkeiten der Natur überwältigt. Weder Zivilisationskritik oder Verwahrlosung, noch werbewirksame Hoch- glanzästhetik werden aufgerufen. Ihre Landschaften bieten sich als Kulissen für persönliches Erleben, für gespannte Erwartungen, für intensive Momente an. Man fühlt sich anwesend und eingebettet. \
4.3.-22.4. (Eröffnung 4.3. 19.30 Uhr)
Gerlinde Zantis – „Zeichnungen
mit Pastell und Bleistift“
Galerie Freitag 18.30
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